Kollegen des mordenden Pflegers angeklagt

Staatsanwaltschaft wirft ihnen »Tötung durch Unterlassen« vor. Auch der verurteilte Niels H. muss wieder vor Gericht

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Hätten Kollegen des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. verhindern können, dass er nach mehreren verdächtigen Todesfällen im Krankenhaus Delmenhorst seine Mordserie fortsetzte? Ja, meint die Justiz in Oldenburg und hat Anklage gegen vier frühere Mitarbeiter der Klinik erhoben. Gegen welche - darüber waren sich Staatsanwaltschaft und Landgericht in der nahe Bremen gelegenen Universitätsstadt nicht einig gewesen. Nun hat dort das Oberlandesgericht (OLG) endgültig entschieden: Neben zwei Ärzten und dem Leiter der Intensivstation muss sich - und das ist neu - auch eine der stellvertretenden Stationsleiterinnen für das ihr vorgeworfene Versäumnis in Sachen Niels H. verantworten.

Der 41-Jährigen war vor drei Jahren wegen zwei Morden, zwei Mordversuchen und einer gefährlichen Körperverletzung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wegen 97 weiterer Morde, die H. nach Erkenntnissen von Polizei und Staatsanwaltschaft mit dem Einspritzen eines für seine Opfer tödlichen Medikamentes begangen haben soll, muss sich der ehemalige Krankenpfleger im Laufe dieses Jahres erneut einer Hauptverhandlung stellen.

Zwar wird sich für Niels H. dadurch nichts ändern - er hat bereits für die gestandenen Taten die Höchststrafe bekommen, wobei das Gericht die besondere Schwere der Schuld festgestellt und damit eine eventuelle Entlassung nach 15 Jahren ausgeschlossen hat. Doch für die Hinterbliebenen der Mordopfer ist es womöglich eine Erleichterung, im Verlauf des Prozesses endlich Klarheit über den Tod ihrer Angehörigen zu erlangen.

Die neue Verhandlung gegen H. wird voraussichtlich zum Herbst anberaumt und stellt die Justiz vor ein Raumproblem. Die Säle im Gericht sind nicht groß genug, die vielen als Nebenkläger zu erwartenden Angehörigen der Ermordeten aufzunehmen, auch muss mit einer großen Präsenz der Medien gerechnet werden. Deshalb werden die Sitzungen vermutlich in einer anderen Oldenburger Lokalität stattfinden.

Wohl erst nach dem Prozess gegen H. werden seine vier ehemaligen Kollegen als Angeklagte vor Gericht stehen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, zwischen Anfang Mai und Ende Juni 2005 »durch Unterlassen in einer unterschiedlichen Anzahl von Fällen einen Menschen getötet zu haben«. Sie sollen im Anschluss an den Tod von Patienten »die Begehung weiterer Tötungsdelikte durch Niels H. tatsächlich für möglich gehalten haben«, jedoch nicht eingeschritten sein und somit bis zu fünf weitere Taten »billigend in Kauf genommen« haben.

Die stellvertretende Stationsleiterin, die nun laut aktueller OLG-Entscheidung mit zu den Angeklagten zählt, hatte nach Ansicht jenes Gerichts die Aufgabe gehabt, Patienten auf der Intensivstation »vor Gefahren zu bewahren«. Auch habe sie in ihrer Funktion Niels H. bei seiner Arbeit »näher beobachten« und sicherstellen müssen, dass von ihm keine Gefahr für die Kranken ausgeht.

Dieser Pflicht, so das OLG, sei die Frau nicht vollständig nachgekommen. Sie habe zwar ihren vorgesetzten Stationsleiter »über konkrete Verdachtsmomente« informiert. Der jedoch habe weitergehende Untersuchungen in puncto H. abgelehnt. Dennoch habe die Angeklagte die Sache nicht auf sich beruhen lassen dürfen, sondern »die nächste Führungsebene« in Kenntnis setzen müssen, meint das Oberlandesgericht.

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