Kopfschütteln über »Grüne Hand des Marktes«

Gegenentwürfe zu wirtschaftsliberalem Konzept aus der Grünen-Bundestagsfraktion

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Grünen nutzen die Opposition zum Austragen alten Zwists. Neben friedenspolitischem und Streit über die sozialen Ansprüche der Partei gewinnt vor allem der Disput über die Wirtschaftspolitik der Grünen an Schärfe.
Neun Monate bereits liegt der Stein des Anstoßes auf dem Tisch - ein Wirtschaftspapier, das unter Federführung des Fraktionschefs im Bundestag Fritz Kuhn entstand. Der umstrittene Kernsatz des Papiers unter der Überschrift »Mehrwert - Grüne Marktwirtschaft« ist einer These des schottischen Moral- und Wirtschaftsphilosophen Adam Smith enlehnt, der von der »unsichtbaren Hand« sprach, von der Wirtschaftskreisläufe gesteuert seien. »Die unsichtbare Hand des Marktes ist grün«, so lautete die Adaption, was Kritiker in den eigenen Reihen als Überbewertung der Marktkräfte interpretieren. Das Kuhn-Papier, sei »marktoptimistisch und wettbewerbsgläubig«, meint Bärbel Höhn, frühere Umweltministerin Nordrhein-Westfalens. Sie ist Mitautorin eines Wirtschaftspapiers, das kurz vor dem Länderrat (Kleiner Parteitag) in Bremen am Wochenende publik wurde und in dem mehrere Parteilinke, neben Höhn auch der frühere Bundesumweltminister unter Rot-Grün, Jürgen Trittin, auf Gegenkurs zu Kuhn gehen, was schon am Titel des Papiers abzulesen ist: »Grüne Wirtschaftspolitik - mehr als nur Markt«. Einen gesetzlichen Mindestlohn, die Vermögenssteuer, eine Entflechtung der marktbeherrschenden Konzerne sowie eine Tobin-Steuer für die Devisenmärkte fordern die Autoren. In ihrer fünfseitigen Erwiderung auf das 43-Seiten-Papier der Kuhn-Gruppe erinnern sie an das häufige Versagen des Marktes und fordern einen ganzheitlichen Politikentwurf. Während Trittin in dem Kuhn-Papier nicht viel Neues und vor allem grüne »Allgemeinplätze« versammelt fand, urteilt Kuhn heute über den Gegenentwurf in ähnlicher Weise. Darin sei »nicht besonders viel Neues enthalten«. Dennoch verspricht er, einige Punkte bei der Überarbeitung des eigenen Konzepts zu berücksichtigen, während die Autoren des aktuellen Entwurfs auf Kuhns Konzept gar nicht explizit eingehen. Dass aus dem Streit der Konzepte ein entzweiender Richtungsstreit erwachsen könnte, ist daher unwahrscheinlich. Hierfür dürfte allenfalls ein drittes Papier geeignet sein, das von Fachleuten der Partei auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen erarbeitet wurde. Sie treten der Gruppe um Kuhn frontal entgegen und werfen ihr vor, sie wollten »offensichtlich die Grünen neu positionieren und sie auf Koalitionen mit der CDU oder der FDP vorbereiten«. Sie apostrophieren in ihren »langfristigen Leitbildern solidarischer, ökologisch-sozialer Wirtschaftsdemokratie« unter anderem, dass eine Neuorientierung der Grünen in der Wirtschaftspolitik dem Prinzip der Gerechtigkeit folgen müsse, »wobei wir ausdrücklich betonen, dass Verteilungsgerechtigkeit als Grundvoraussetzung neuer Gerechtigkeitsmodelle unabdingbar ist«. Das Papier trägt den Titel »Solidarisch Wirtschaften. Grüne Wirtschaftsdemokratie statt Grüner Marktwirtschaft«. Unter seinen Autoren findet sich mit Rüdiger Sagel unter anderen jener Landtagsabgeordnete aus Münster, der Spitzenpolitiker seiner Partei wegen ihrer Haltung zu den Tornados der Bundeswehr in Afghanistan mit öffentlichen Rücktrittsforderungen konfrontiert hatte. Auf dem nächsten Parteitag im Herbst soll es zur Entscheidung über den Wirtschaftskurs der Grünen kommen.
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