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Warten auf die Antwort des Kreml

Reaktion auf Massenausweisung russischer Diplomaten angekündigt / Präsident Putin bei Katastrophenopfern

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Russland habe viel gelernt über die Politiker Europas und Amerikas, reagierte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa auf die Ausweisung russischer Diplomaten aus fast zwei Dutzend Ländern. Während die Russen um die Opfer der Tragödie im sibirischen Kemerowo trauerten, seien diesen Politikern neue feindliche Handlungen wichtiger, schrieb sie in der Nacht zu Dienstag auf Facebook. »Heute hörten wir Worte des Mitgefühls, aber in Wirklichkeit sahen wir eine absolut unbegründete Aggression.« Dies sei »schwer zu glauben und wird schwer zu vergessen sein«.

Am frühen Dienstagmorgen war Präsident Wladimir Putin in Kemerowo eingetroffen, hatte am Ort der Katastrophe der mehr als 60 Todesopfer, darunter über 40 Kinder, gedacht. »Verbrecherische Nachlässigkeit, Schlamperei«, nannte er laut Medienberichten als Ursachen des Unglücks vom Sonntag in dem vierstöckigen Einkaufszentrum. Alle dafür Verantwortlichen würden bestraft, kündigte er bei einem Treffen mit Angehörigen von Opfern an. Er besuchte das Krankenhaus und sprach mit Verletzten. Für Mittwoch wurde Staatstrauer angeordnet.

Die Ausweisung russischer Diplomaten wurde von der Tragödie überschattet und blieb vorerst ohne Antwort. Maßnahmen sollten nach Medienberichten vom Außenministerium dem Präsidenten vorgeschlagen werden. Außenminister Sergej Lawrow besucht derzeit Usbekistan. Von dessen Hauptstadt Taschkent aus machte er Washington verantwortlich. Die Ausweisungen seien das »Ergebnis kolossalen Drucks, kolossaler Erpressung« seitens der USA. Dies sei Washingtons »Hauptinstrument auf der internationalen Bühne«. Russland werde reagieren, daran bestehe kein Zweifel, fügte Lawrow hinzu. Solch »launisches Verhalten« könne nicht unbeantwortet bleiben.

Im Gespräch blieben »spiegelbildliche und nicht-spiegelbildliche Maßnahmen«, was alles bedeuten kann. Aus Washington wurde von der dortigen russischen Botschaft getwittert, als Antwort auf die Schließung des Konsulates in Seattle solle darüber abgestimmt werden, welches US-Konsulat in Russland zu schließen sei. Zur Wahl stehen die diplomatischen Vertretungen in St. Petersburg, Jekaterinburg und Wladiwostok.

»Die USA führen sich wie ein äußerst verantwortungsloser Spieler auf - im direkten und im übertragenen Sinne«, klagte Vizeaußenminister Sergej Rjabkow in der Rossiskaja Gasjeta. »Erneut gibt es lügnerische Beschuldigungen gegen uns, Drohungen und Versuche, unsere Positionen von den Füßen auf den Kopf zu stellen.« Moskau sei zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit, könne aber die westlichen Entscheidungen nicht unbeantwortet lassen.

Von dem Beginn eines »diplomatischen Krieges« zwischen Russland und dem Westen spricht Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, einer Nichtregierungs-Vereinigung russischer Persönlichkeiten und Experten. Erstmals verschärften sich die Beziehungen des Westens mit einem wichtigen Partner nicht wegen eines eigenen Konfliktes mit ihm, sondern aus Blockdisziplin. Das habe es früher nur in einer Vorkriegs- oder Kriegssituation gegeben. Dabei sei der Fall Sergej Skripal, der Giftangriff auf den ehemaligen russischen Doppelagenten und seine Tochter am 4. März im britischen Salisbury, äußerst unklar.

Der Öffentlichkeit seien keine Verdächtigen, kein Tathergang und kein Motiv präsentiert worden - wenn man dieses Argument nicht zähle: »Putin ist ein Verrückter und macht gern Ärger.« Senator Alexej Puschkow twitterte, das »Potential einer Verschlechterung der Beziehungen mit Russland ist noch lange nicht ausgeschöpft«. Die US-Administration arbeite aber daran. Längst argwöhnt man in Moskau, als nächstes würde der Westen Schläge gegen die Fußball-Weltmeisterschaft und gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2 führen.

Eine Reaktion des Kreml kann, muss aber nicht zwangsläufig rasch erfolgen. Dort lässt man sich zuweilen sogar eine Menge Zeit und die russische Diplomatie ist immer mal wieder für ausgeklügelte Überraschungen gut. So beantwortete Putin die Last-Minute-Attacke des scheidenden US-Präsidenten Barack Obama, den Rausschmiss von 35 russischen Diplomaten Ende 2016 und die Schließung einiger diplomatischer Einrichtungen, mit einer Einladung für US-Diplomaten in Russland und deren Kinder zum Jolkafest in den Kreml.

Erst zum 1. September 2017 wurde der Abbau von Hunderten Mitarbeitern in US-Vertretungen in Russland »vorgeschlagen« und musste ausgeführt werden. Auch wurden »spiegelbildlich« US-Einrichtungen geschlossen. Vergeblich hatte Moskau ein gutes halbes Jahr auf die Einlösung der Wahlkampfankündigung des neuen Präsidenten Donald Trump gehofft, für Tauwetter sorgen zu wollen. Stattdessen verhängte der Kongress per Gesetz neue Sanktionen, die von Trump unterzeichnet wurden.

Der britische Außenminister Boris Johnson erhielt allerdings bereits eine Antwort, wenn sie auch unangenehm ausfiel. Den Vergleich der Fußball-WM in Russland 2018 mit der Olympiade in Hitlers Deutschland 1936 solle er besser lassen, kontert die Russische Botschaft in den USA. Sie präsentiert auf ihrem Twitter-Account seit dem 22. März ein Sechs-Sekunden-Video: Vor einem Länderspiel Deutschland-England 1938 in München zeigen beide Mannschaften einträchtig den Hitlergruß.

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