Zinstief schwächt Türkische Lira

Währung verliert deutlich an Wert, Wirtschaftswissenschaftler warnen vor kommender Krise

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Anfang der Woche ist die Türkische Lira erneut heftig eingebrochen - und das trotz glänzender Konjunkturdaten. Im Grunde sind die hohen Wachstumszahlen beim Bruttoinlandsprodukt aber ebenso wie die Schwäche der Lira ein längerfristiger Trend, der sich in den vergangenen Wochen merklich beschleunigt hat. Vor zehn Jahren kosteten zehn US-Dollar noch 13 Lira, heute müsste man dafür über 50 Lira hinlegen.

Das Problem ist zum Gutteil hausgemacht. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen fest im Blick denkt Präsident Recep Tayyip Erdogan wieder einmal nur ans Wirtschaftswachstum und an Großprojekte, die die Wähler beeindrucken. Um die Inflation, die im Winter 13 Prozent erreicht hat, und den Wertverfall der Lira zu bremsen, müssten eigentlich die Zinsen angezogen und die Ausgaben gedrosselt werden. Das ist nicht nach Erdogans Geschmack, denn es würde die Konjunktur ausbremsen.

Der Verfall der Lira hat für die türkische Wirtschaft einerseits positive Seiten, weil er Export und Tourismus ankurbelt. Andererseits merken es die einheimischen Verbraucher bei Importgütern: Binnen kurzer Zeit wurde der Benzinpreis gleich mehrfach angehoben. Noch schlimmer ist, dass die Privatwirtschaft, aber auch viele Bauherren von ausländischen Krediten abhängen, ihre Einnahmen aber in Lira erzielen. Im schlimmsten Fall kann daher der Wertverfall der Währung zu einer Pleitewelle führen, die weitere Kreditgeber verschrecken und zum Absturz der türkischen Wirtschaft wie im Jahr 2001 führen könnte.

Vizeministerpräsident und Ex-Finanzminister Mehmet Simsek glaubte irgendwann die Reißleine ziehen zu müssen. Es könne sein, dass ein Sturm auf die Türkei zukomme, insbesondere falls die Zinsen weltweit steigen würden, sagte er und zitierte Ex-US-Präsident John F. Kennedy mit den Worten, man müsse das Dach reparieren, so lange die Sonne scheine. Alle Indikatoren stünden auf Alarm, die Arbeitslosigkeit nehme zu und die Inflation sei wieder zweistellig. Der private Sektor solle mit dem Schuldenmachen vorsichtig sein und die Zinsen müssten steigen.

Ein Sturm brach aber zuerst über Simsek herein und zwar aus dem Munde Erdogans. »Einige Leute sagen ganz seltsame Dinge«, meinte dieser. Rücktrittsgerüchte um Simsek wurden zwar von Erdogans Sprecher »zum gegenwärtige Zeitpunkt« dementiert, doch seine Tage im Amt sind wohl gezählt. Erdogan verkündete am Montag ein neues Investitionspaket in Höhe von 27 Milliarden Euro und betonte erneut, die Zinsen sollten niedrig bleiben. Die Zentralbank ist zwar im Prinzip unabhängig, lässt sich aber angesichts Erdogans wachsender Macht durchaus beeindrucken.

Es gibt weitere Gründe für die Schwäche der Währung. Einer ist der weltweite Zinstrend. Zumindest in den USA steigen die Zinsen wieder etwas, und wenn das auf Europa überschwappt, könnte es die Türkei hart treffen. Ein weiterer Grund sind die politischen Entwicklungen um die Türkei herum. Eine mögliche Konfrontation mit den USA in Syrien, wie wahrscheinlich auch immer, verschreckt Investoren. Die neuen Spannungen zwischen den USA und Russland verheißen für die Türkei ebenfalls nichts Gutes, auch wenn sie nicht unmittelbar betroffen ist.

Es ist zudem Zeit, die Voraussetzungen des bisher so erfolgreichen türkischen Wirtschaftssystems mit hohen Wachstumsraten und im internationalen Vergleich geringer Staatsschuldenquote zu hinterfragen. Wirtschaftswissenschaftler Hayri Kozanoglu weist darauf hin, dass die Nettoverschuldung der türkischen Privatwirtschaft im Ausland unter Erdogan um 5,6 Prozent auf 481 Milliarden Dollar zugenommen hat. Ein Grund dafür ist die langanhaltende weltweite Niedrigzinsphase, von der die Türkei profitiert hat.

Ein anderer, dass der Staat Großprojekte an in- und ausländische Konzerne in Eigenregie vergibt. Die leihen sich Geld, bauen und dürfen dafür etwa 20 oder 25 Jahre das Objekt selbst betreiben. Der Staat muss keine Kredite aufnehmen und die Wirtschaft wächst, weshalb die Staatsschulden verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt sinken.

Doch die ökonomische Realität lässt sich nicht dauerhaft austricksen. Um Investoren anzulocken, garantiert der Staat ihnen eine gewisse Einnahmenhöhe. Wenn Flughafen, Reaktor oder Brücke nicht genug Geld einbringen, muss der Staat einspringen. Zudem zahlen die Benutzer hohe Preise. Diese Kosten kommen bei immer mehr Projekten auf die Türkei zu.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal