Ein Richter räumt auf

Der Chef des Obersten Gerichtshofes in Pakistan legt sich offen mit den regional und national Regierenden an

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Von einer Diktatur der Richter sprach dieser Tage Ex-Premierminister Nawaz Sharif. Was sich gegenwärtig abspiele, erscheine wie das »Kriegsrecht der Justiz«, so der einstige starke Mann Pakistans, der von den Obersten Richtern vor einem Jahr wegen seiner Verwicklungen in den Skandal um die »Panama Papers« zum Rücktritt gezwungen wurde.

Dass der vormalige Regierungschef auf die Mitglieder des Supreme Court deshalb nicht gut zu sprechen ist, wundert nicht. Läuft doch das Hauptverfahren gegen ihn und seine Tochter Maryam in Sachen Schwarzgeldkonten und dunkle Finanzgeschäfte weiter. Am Freitag müssen die beiden erneut einem wichtigen Prozesstag persönlich beiwohnen. Nur eine Kurzvisite bei Ehefrau bzw. Mutter Kulsoom Sharif, die sich in London einer Krebstherapie unterzieht, war den Angeklagten für einen Tag gewährt worden.

Ungeachtet der persönlichen Befindlichkeiten der Sharifs gegenüber Chefrichter Saqib Nisar und seinen Kollegen gibt es in der Politik des südasiatischen Landes seit Wochen teils parteienübergreifend Unmut gegenüber den Spitzenvertretern der Justiz. Sie sind aus Sicht von Ministern und Abgeordneten dabei, ihre verfassungsrechtlich festgelegten Kompetenzen zu übertreten. Nisar, 2010 an den Obersten Gerichtshof berufen und seit anderthalb Jahren dem 17-köpfigen Richterkollegium vorstehend, ficht das bisher nicht an. Die Justiz habe die Aufgabe, die Grundrechte der Bürger zu sichern. In diesem Sinne sei es auch gerechtfertigt, die Regierungen zur Ordnung zu rufen, wenn solche Rechte missachtet würden.

In der Tat ist unter seiner Ägide die neue Linie im Supreme Court auszumachen, sich verstärkt mit »Alltagsproblemen« zu befassen. So hat er erst am vergangenen Freitag bei seiner Visite in Peshawar dem Gesundheitsminister der dortigen Regionalregierung in der nördlichen Provinz Khyber Pakhtunkhwa aufgetragen, etwas gegen nicht zugelassene Ärzte zu unternehmen. Etwa 15 000 solcher Quacksalber sollen in der Region aktiv sein; der Minister erhielt eine Woche Frist, um Maßnahmen in die Wege zu leiten. Das Beispiel könnte als Beweis herhalten, dass Nisar nicht, wie ihm von Sharif und seinen Gefolgsleuten unterstellt wird, besonders voreingenommen gegenüber deren Partei Pakistanische Muslimliga-Nawaz (PML-N) eingestellt ist. Denn Khyber Pakhtunkhwa wird von der oppositionellen PTI regiert.

Auch der Polizeichef in Peshawar musste sich erklären: Warum seien 3000 seiner Beamten als Personenschutz für Leute abgestellt, die nicht in die VIP-Kategorie fallen? Er kündigte an, diese Kräfte umgehend abzuziehen. Nisar fragte zudem kritisch nach der Zahl der Schulen in der Provinz und sauberem Trinkwasser, und er ließ die Behörden die Finanzunterlagen eines privaten Medizin-Colleges beschlagnahmen. Ob der von den Behörden in der Provinz mehr oder weniger geduldete Menschenhandel, die mangelnde Ausstattung von Schulen oder die schlechten Zustände in vielen staatlichen Krankenhäusern - es gibt kaum ein Thema, das der Chefrichter nicht schon auf dem Tisch hatte. Mehrfach hat er Regierungsmitgliedern sogar offen Versagen vorgeworfen.

Sich mit den Mächtigen anzulegen, dafür wird er in politischen Kreisen teilweise auch jenseits der weiter regierenden PML-N angefeindet. Unter den einfachen Bürgern allerdings hat Nisar sich und der Justiz damit Respekt verschafft. So ordnete er auch die Entlassung der Vizekanzler von vier Universitäten an, die ihre Posten offenbar zu Unrecht ohne gängige Ernennungsverfahren erhalten hatten. Auch der Punjab University - diese große und renommierte Hochschule musste einen Teil ihres Geländes auf Regierungsweisung abtreten - landete bei ihm. Und er urteilte: Dass der alte Uni-Campus an eine religiöse Partei als Kompensation für ein anderes Grundstück ging, das die Behörden für den Bau der ersten, im Mai startenden Metro-Strecke in Lahore eingezogen hatten, sei nicht hinnehmbar.

Noch hat sich keiner seiner Richterkollegen am Supreme Court kritisch zur aktivistischen Ader ihres Chefs geäußert. Der Gegenwind der politischen Kaste allerdings hat zuletzt zugenommen, wofür nicht nur Nawaz Sharifs Diktaturvorwurf steht.

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