Islamischer Staat nimmt Indonesien ins Visier

Terroristen orientierten sich nach der Jahrtausendwende an Al-Qaida - nun suchen sie neue Verbündete

  • Thomas Berger
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Stadt unter Schock, ein Land in Sorge. Mehrere islamistische Anschläge innerhalb einer Woche schüren die Angst in Indonesien. Begonnen hat die Anschlagsserie vergangenen Sonntag, als Terroristen drei Kirchen in Surabaya mit Bombenanschlägen angriffen. Das Besondere dabei: Die Täter gehören zu einer Familie. Während der erste Sprengsatz von zwei Brüdern (17 und 15 Jahre) gezündet wurde, nahm beim zweiten Anschlag ihre Mutter auch die beiden kleinen Töchter (9 und 12) mit in den Tod. Der 46-jährige Vater starb als Letzter beim dritten Anschlag.

Der Horror in Surabaya, gelegen auf der bevölkerungsreichsten Hauptinsel Java und eine der größten Metropolen des südostasiatischen Landes, hatte damit kein Ende. Noch am Abend detonierte eine Bombe in einem Wohnkomplex. Und am Montagmorgen kam es im Eingangsbereich des Polizeihauptquartiers zu einem Selbstmordanschlag. Auch in diesem Fall war es eine familiäre Tat. Während die Mutter, die die Bombe trug, ihr Mann und zwei erwachsene Kinder umkamen, überlebte die jüngste Tochter (8).

Bei der abendlichen Explosion in dem Appartmentkomplex unter ähnlichen Umständen starben dann Eltern und ihr ältester Sohn; drei weitere Kinder kamen verletzt in ein Polizeikrankenhaus. Die Ermittler fanden schnell heraus: Der Vater war ein Bekannter des Familienoberhauptes der Kirchenbomber.

Indonesien, Südostasiens größtes Staatsgebilde, ist ein Gemeinwesen mit vielen Konfliktlinien. Allein 300 Sprachen werden auf dem früher von den Holländern kolonisierten Archipel gesprochen, der heute 261 Millionen Einwohner zählt. Da sich mehr als vier Fünftel davon zum Islam bekennen, ist das Land zudem die größte muslimische Nation weltweit.

Wer allerdings alle gewaltsamen Konflikte im Land auf die Formel radikalisierte Muslime gegen »Ungläubige« reduziert, macht es sich zu einfach. Nicht nur, dass die übergroße Mehrzahl der Einwohner einer eher liberalen Auslegung des Koran folgen; manche Zusammenstöße haben mit diesem Grundmuster auch gar nichts zu tun, sind Ausdruck regionaler Konflikte. Schließlich wurden wegen der schon damals spürbaren Überbevölkerung Javas unter dem einstigen Diktator Suharto (1998 vom Volk gestürzt) unter der sogenannten Transmigrasi-Politik massenweise Javaner auf andere Inseln umgesiedelt.

Verhehlen lässt sich jedoch nicht: In Indonesien gibt es bereits eine längere Blutspur des islamistischen Terrors, und die jüngsten Taten wecken ungute Erinnerungen. Ob der Angriff von fünf maskierten und mit Samuraischwertern bewaffnete Männern auf die Polizeistation von Riau am Mittwochmorgen ebenfalls dazu gehört, ist noch unklar. Zwei der Täter wurden erschossen. Die übrigen Anschläge werden der Gruppe Jamaah Ansharud Daulah (JAD) zugeschrieben, die sich als größter lokaler Ableger des Islamischen Staates (IS) versteht. Ihr Anführer Aman Abdurrahman ist ein alter Bekannter der Behörden. 2004 bis 2008 saß er, verkürzt wegen guter Führung, wegen eines fehlgeschlagenen Anschlags erstmals hinter Gittern, und kam 2010 wegen fortgesetzter terroristischer Umtriebe erneut in Haft, diesmal für neun Jahre.

In der Zwischenzeit hatte er sich vor allem mit Abu Bakr Ba’ashir verbündet, einem greisen Hassprediger, den viele als Vater des islamistischen Terrors im Land ansehen. Den Behörden galt Ba’ashir lange als Drahtzieher oder mindestens Mentor der Jemaah Islamiyah (JI), eines Schattennetzwerks, dem die gesamte erste Terrorwelle nach der Jahrtausendwende zugeschrieben wurde.

Die spektakulärsten Anschläge waren im Oktober 2002 jener auf der Ferieninsel Bali mit 202 Toten und später der auf das bei Ausländern beliebte Marriott-Hotel in Jakarta. Damals bekannten sich die Täter noch zum Al-Qaida-Netzwerk Osama bin Ladens, als dessen südostasiatische Filiale JI eingestuft wurde. Längst aber haben sich auch in dieser Weltregion die Fanatiker neu strukturiert. Heute will man, ob anerkannt oder nicht, zur »Marke« IS gehören.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal