Kleine Kinder demonstrieren in großer Hitze

Rot-rote Koalition hat kein Verständnis für die Unzufriedenheit mit der teilweisen Abschaffung von Kitagebühren

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Hoffnung, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schaut, erfüllt sich bei der vorgesehenen Abschaffung der Elternbeiträge für das letzte Kitajahr offenbar nicht. Die Landtagsabgeordnete Gerrit Große (LINKE) zeigte sich am Dienstag bezogen auf die für diesen Mittwoch geplante Protestdemonstration vor dem Parlament ungewöhnlich ärgerlich. Sie warf den Organisatoren vor, Kinder für die Interessen der Kitaträger »zu instrumentalisieren«.

Allen Widerständen zum Trotz werde der Landtag am Mittwoch den Weg für den Einstieg in die Beitragsfreiheit ab September frei machen, erklärte Große. Sie hoffe dabei auf eine größere Mehrheit als nur die der rot-roten Koalition. Tatsächlich wollen auch die Grünen und die CDU zustimmen. Elternsprecher fordern schon lange die Abschaffung der Gebühren, die es in Berlin überhaupt nicht mehr gibt. Rot-Rot habe sich »in großen Schritten« auf die Spitzenverbände der Wohlfahrtsorganisationen zubewegt und unter anderem den Pauschalbetrag, den das Land pro Kind und Monat für den Ausfall der Elternbeiträge zahlen will, von 115 Euro auf 125 Euro erhöht. Aus Sicht von Gerrit Große sind damit »alle Hürden aus dem Weg geräumt«.

Die Abgeordnete äußerte ihr Unverständnis darüber, dass dennoch eine Protestdemonstration vor dem Landtag veranstaltet wird. Das sei der falsche Ort, die falsche Zeit und der falsche Adressat. Vor allem ist Große darüber aufgebracht, dass angekündigt ist, dass Kinder an der Demonstration teilnehmen werden. Kinder könnten durchaus für ihre Rechte eintreten, doch sei das Thema Kitafinanzierung etwas, was ihre »Einsichtsfähigkeit« übersteige, sagte Große. Vielmehr würden Kinder gezielt für die Interessen der Träger eingesetzt. »Das bedaure ich und das ist unnötig - nicht nur der angekündigten hohen Temperaturen wegen.« Bei dieser Gelegenheit »brauche ich keine Busladungen voll Kinder«. Große erinnerte, dass laut Gesetz die Kommunen für die Finanzierung der Kitas aufkommen müssen.

Der Streit entzündete sich daran, dass das Land Brandenburg nur Zuschüsse für bis zu 7,5 Stunden Betreuung am Tag gewährt, obwohl in vielen Fällen eine deutlich längere Betreuung erforderlich ist. Große gewährte einen Einblick in die Abrechnungspraxis: In vielen Fällen sei es so, dass für ein Kind zehn Stunden Betreuung vereinbart sind und abgerechnet werden - zur Sicherheit, wenn Vater oder Mutter nicht pünktlich von der Arbeit kommen. Doch in der Realität werden viele Kinder oft deutlich früher abgeholt. Ausdrücklich wollte Große dies alles nicht als Betrugsvorwurf verstanden wissen. Denn die Eltern müssten auf Nummer sicher gehen, weil sie das angestrebte frühere Abholen aus der Kita angesichts der Lebenswirklichkeit, der Arbeitsbedingungen und der Verkehrsverhältnisse im Land nun einmal nicht garantieren können. Eine »Spitzabrechnung« nach Minuten sei in niemandes Interesse, »aber ein wenig genauer, ob es sich um sieben, acht oder zehn Stunden handelt, würden wir es schon gerne wissen«, sagte Große. Ihr zufolge genießt die Politik der rot-roten Koalition die Unterstützung der Mehrheit der Eltern. Doch diese seien nicht so organisiert und durchsetzungsstark wie Kommunen und freie Träger. Es sei das Ziel gewesen, die Eltern nicht mit den komplizierten Berechnungen zu belästigen.

SPD-Fraktionschef Mike Bischoff räumte ein, dass Gutverdiener mit dem Entlastungsgesetz deutlich höhere Summen sparen als Niedrigverdiener. Doch handle es sich trotzdem nicht um ein Gesetz, das vor allem »die Jauchs dieser Welt« finanziell entlaste. Denn die geringeren Kitabeiträge fallen den Niedriglöhnern ungleich schwerer als die höheren Beiträge den Gutverdienern. Dabei verwies Bischoff auf Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-Stiftung. Auch Bischoff wundert sich über den Widerstand. Der Weg sei aber »unumkehrbar«. Das Geld des Landes gehe an Kommunen und Träger, es bleibe »in den Geldbörsen der Eltern«.

Mehr als 170 000 Kinder werden in brandenburgischen Kitas betreut, 24 970 werden ab Herbst von der Beitragsfreiheit profitieren. Das Land zahlt einen Zuschuss von 130 Millionen Euro im Jahr.

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