»Keine Panzer!«

Kundgebung in Brück gegen den Durchzug von US-Truppen nach Osten

Auf dem Truppenübungsplatz Lehnin knallen am Montagabend Schüsse. Doch das stört die Anwohner nicht, die sich auf Plastikstühle vor den Eingang ihres Wohnblocks an der Beelitzer Straße in Brück (Potsdam-Mittelmark) gesetzt haben, Bier trinken und rauchen. Sie hören es inzwischen kaum noch, können trotzdem einschlafen, falls nicht Panzer vom Typ Leopard 2 große Kaliber verschießen. Denn dann gibt es einen ordentlichen Rumms.

Ein bisschen gestört fühlen sich die Nachbarn dagegen von der Linkspartei, die ihre Lautsprecheranlage testet - für die Friedenskundgebung, die gleich auf der Wiese neben dem Haus beginnen soll. Der Anlass: Die an die russischen Grenzen in Polen, Litauen, Lettland und Estland entsandten US-Truppen werden wieder einmal ausgetauscht und einer der Konvois soll bei seinem Durchzug auf dem Truppenübungsplatz Lehnin übernachten. Aber das stört die Anwohner nun wieder nicht. Ob da Bundeswehrsoldaten sind, die Amerikaner oder die Russen, das interessiert sie nicht, sagen sie.

Aber so denken nicht alle in Brück. Ein Mann ist mit einem selbst gebastelten Schild hergeradelt, um an der Kundgebung teilzunehmen. Er ist ein wenig enttäuscht, dass nicht mehr gekommen sind. Anders der erst vorbeirauschende Fahrer eines Sportwagens, der bremst, kurz in einer Einfahrt parkt und den Demonstranten anerkennend mitteilt: »Ich freue mich, dass Widerstand da ist. Ich habe mich immer gewundert, dass es so wenig Widerstand gibt.« Es freut sich auch ein Arbeiter am Steuer eines extra langsam vorbeirollenden Baustellenfahrzeugs. Der Arbeiter ballt die Faust und ruft: »Keine Panzer!«

Zwei Kamerateams sind vor Ort, eins vom Sender rbb und eins vom Multimediateam der russischen Tageszeitung »Iswestija«. Die russischen Kollegen machen ein paar Interviews und wollen wissen, ob sie die US-Panzer zu Gesicht bekommen werden. Aber niemand weiß, wie spät der Konvoi eintrifft und ob er nicht den nördlichen Eingang zum Truppenübungsplatz nimmt. Dann würde man hier am südlichen Eingang vergeblich warten.

Gegen 18 Uhr stehen 72 Menschen auf der Wiese. 20 Demonstranten sind mit einem kleinen Bus aus Potsdam angereist, mit dabei eine Genossin, die aus der Ukraine stammt und einst aus der Sowjetunion in die DDR umgezogen ist. Sie verfolgt die Entwicklungen in ihrer alten Heimat und ist entsetzt von der antirussischen Hetze in fast allen bundesdeutschen Zeitungen.

Der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (LINKE) verteilt vor der kleinen Bühne Fahnen seiner Partei. Weiter hinten wehen Flaggen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP). Die LINKE-Landesvorsitzende Diana Golze trägt Wilhelm Buschs gereimte Fabel »Der bewaffnete Friede« vor und äußert Verständnis für die berechtigten Sorgen des Igels vor dem Fuchs. Schließlich habe es in den vergangenen 3500 Jahren weltweit nur 250 Jahre Frieden gegeben, sagt sie, und die 8000 abgeschlossenen Friedensverträge seien im Durchschnitt nach zwei Jahren gebrochen worden. »Deutschland trägt eine besondere Verantwortung für den Frieden in Europa und muss sich dieser Verantwortung aktiv stellen«, fordert Golze. Sie richtet einen Friedensappell an den Westen - aber auch an den Osten. Und da ruft jemand entrüstet: »Nein!« Dass die Politikerin dann auch noch ihre Solidarität zur russischen Demokratiebewegung bekundet, missfällt einigen Zuhörern.

Die russische Demokratiebewegung, das seien doch bloß der Oppositionelle Alexej Nawalny, die Punkrockgruppe »Pussy Riot« und lauter so ein »Scheißdreck«, schimpft Brigitte Queck von der Organisation »Mütter gegen den Krieg«, wobei sie gleich die Hand vor den Mund schlägt und sich wegen ihrer Wortwahl entschuldigt.

Queck ist sauer, weil sie sich bei der Kundgebung von der Liedermacherin Sylvia Swierkowski als Reichsbürgerin verdächtigt fühlt. Es handelt sich allerdings um ein Missverständnis. Swierkowski glaubte lediglich, aus der Ferne in einem jungen Mann neben Brigitte Queck einen berüchtigten Hetzer aus Berlin, den sogenannten Volkslehrer, erkannt zu haben. Er ist es aber nicht.

Dass Queck sich angesprochen fühlt, ist kein Wunder. Schließlich muss sich sich seit einigen Jahren den Vorwurf anhören, gemeinsame Sache mit Rechten zu machen. Diese Anschuldigung beruht auf Fotos, die Queck bei Friedensmahnwachen in Berlin an der Seite von Organisator Lars Mährholz zeigen. Die Mahnwachen gerieten in Verruf, weil der vom Marxisten zum Rechtspopulisten gewendete Journalist Jürgen Elsässer dort als Redner aufgetreten ist. Queck will sich ihre Verunglimpfung künftig nicht mehr gefallen lassen und juristisch dagegen vorgehen. Sie sei Kommunistin, betont sie.

Liedermacherin Swierkowski entschuldigt sich. Um die Wogen zu glätten, vertraut sie auf die beruhigende Wirkung der Musik, greift in die Saiten ihrer Gitarre und singt noch ein Lied. Dann spricht der Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger (LINKE). Die Bundeswehr sei für die gesamte Logistik der durchziehenden US-Brigade verantwortlich, erzählt er. Diesen ganzen Aufwand betreibe die Bundesregierung, um einem Truppenaufmarsch im Osten zu ermöglichen. »Wir wollen nicht, dass aufgerüstet wird«, sagt Pflüger. »Wir wollen, das abgerüstet wird.« Es gibt Beifall und die Kundgebung neigt sich ihrem Ende zu.

LINKE-Landesgeschäftsführer Stefan Wollenberg formt mit seinen Händen einen Trichter an seinem Mund und ruft quer über die Wiese, wer den Bus zurück nach Potsdam nehmen wolle, müsse sich jetzt an dem Fahrzeug einfinden. Ein paar Minuten später zuckelt der Bus los. Zurück bleiben die Anwohner, die weiter im Schatten sitzen und kühles Bier trinken. Zurück bleiben auch die Polizisten, die den Eingang des Truppenübungsplatzes absichern. Die US-Soldaten lassen sich nicht blicken.

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