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Zu groß, zu links, zu proletarisch

Dänische Finanzgewerkschaft schert aus künftigem Großverbund aus

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 3 Min.

Nur zwei Monate nach dem historischen Beschluss zur Fusion der beiden großen gewerkschaftlichen Dachorganisationen Dänemarks, LO und FTF, scheren einige Mitgliedsgewerkschaften aus. Sie fürchten, dass ihre Interessen unter die Räder kommen, wenn ab 1. Januar 2019 rund 1,5 Millionen Arbeitnehmer in einer Organisation vereint sind, fast die Hälfte aller Beschäftigten. Aber auch sozio-ökonomische Unterschiede spielen eine Rolle. So wurde immer wieder die Frage gestellt, welche gemeinsamen Interessen ein Bauarbeiter und ein Bankangestellter haben.

Viele Jahre hatte die Diskussion in den insgesamt 98 Mitgliedsgewerkschaften gedauert, ehe im April eine Mehrheit für den Zusammenschluss stimmte. Man will dadurch Verhandlungsstärke gegenüber privaten wie öffentlichen Arbeitgebern hinzugewinnen. Der ungewöhnlich langwierige Verlauf der diesjährigen Tarifrunde im öffentlichen Dienst machte deutlich, dass es damit derzeit nicht zum Besten bestellt ist.

Doch nicht alle waren glücklich mit dem Fusionsbeschluss. Von Beginn an waren insbesondere die Gewerkschaften Finanzen und IT vehemente Gegner. Sie bezweifelten, dass es sinnvoll ist, Tarife für Beschäftigte im privaten wie öffentlichen Bereich in einer Runde gemeinsam zu verhandeln. Die Befürchtung ist, dass spezifische Interessen einzelner Berufsgruppen nicht genug berücksichtigt werden. Die beiden Gewerkschaften haben ihren Mitgliedern bislang viele Extravorteile sichern können.

Ganz grundsätzlich sehen sie in dem neuen Großverband weniger die neue Verhandlungsmacht als einen »organisatorischen Dinosaurier«, in dem die Gewerkschaftsspitze mehr Kontakt mit ihrem Gegenüber in Staatsapparat und Arbeitgeberverbänden hat als mit ihren eigenen zahlenden Mitgliedern. Die beschlossene Struktur mit einem Vorsitzenden und sechs Stellvertretern, die jährlich eine Million Euro Gehalt kosten werden, stärkt diesen Vorbehalt. Für Unmut sorgt auch, dass auf der anderen Seite umfangreiche Sparpläne einschließlich Entlassungen die Fusion begleiten sollen.

Gegen die erhoffte Verhandlungsstärke wenden Kritiker ein, dass sich der neue Dachverband nur künstliche Beatmung verschafft. Denn die Mehrheit der LO- wie FTF-Mitgliedsgewerkschaften verliere seit der Jahrtausendwende jährlich Tausende Mitglieder. Anstatt um einen höheren Organisationsgrad insbesondere bei jungen Leuten zu kämpfen, rette man sich vorläufig mit einer Zusammenlegung, so der Vorwurf.

Stärker noch dürften jedoch politische Differenzen ins Gewicht gefallen sein. Auf Druck der wichtigen LO-Mitgliedsgewerkschaft Metall und einiger anderer, die als »rot« angesehen werden, wurde eine prinzipielle Mitte-links-Ausrichtung des neuen Dachverbandes beschlossen. Dies schließt politische Arbeit vor Ort ein und mindestens organisatorische, eventuell auch finanzielle Wahlkampfunterstützung für Sozialdemokratie, Volkssozialisten und Einheitsliste. Dagegen sperren sich die beiden abtrünnigen Finanz- und IT-Gewerkschaften, die auf politische Neutralität setzen. Zudem fühlen sich die Bankangestellten unter einem Dach mit Bauarbeitern und Büroarbeitern nicht so recht zu Hause.

Finanz- und IT-Gewerkschaften sowie einige kleinere, auf den Gesundheitsbereich spezialisierte Vertretungen diskutieren nun darüber, ob sie sich dem Akademikerverband anschließen oder allein verbleiben. Beides hat Vor- und Nachteile. Für den Eintritt sprechen Charakter der Arbeit und Ausbildungsniveau der Mitglieder, dagegen spricht die Forderung der Akademikergewerkschaft, in diesem Fall das Verhandlungsrecht bei Tarifverhandlungen zu übernehmen.

Die organisatorische Eigenständigkeit wiederum schließt Einzelgewerkschaften von der Mitarbeit in Ausschüssen und Beiräten aus, da hier nur Dachverbände eingeladen werden, um die Größe dieser Foren zu begrenzen. Ein langsames Diffundieren der Mitglieder zu anderen Gewerkschaften muss ebenfalls einkalkuliert werden. Der Starke ist somit nicht allein am stärksten, und auch die selbstbewussten Gewerkschaftsführungen werden einige Kamele schlucken müssen, um eine neue Heimat für die Zukunft zu finden.

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