- Politik
- »Neuer Wehrdienst«
»Jeden zweiten Tag legt ein Soldat seine Waffe nieder«
Am Wochenende veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) einen Kongress zur Kriegsdienstverweigerung
In der SPD hält die Debatte über das Friedensmanifest einiger Parteilinker an. Wie steht es um die Friedenspolitik der Partei?
Ich war erfreut, dass ein solches Manifest aus SPD-Kreisen kam. Bisher gab es dort kaum Stimmen gegen Militarisierung und Aufrüstung. Der heftige Gegenwind, der den Unterzeichnern nun entgegenschlägt, überrascht mich allerdings nicht. Ich bezweifle, dass die SPD einen anderen Kurs einschlägt – vor allem jetzt, da sie weiter in der Regierung sitzt.
Einerseits drückt die SPD bei der Forderung der CDU nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht auf die Bremse. Andererseits zeigt sich die Parteiführung offen dafür, schon jetzt die Voraussetzungen für eine Wehrpflicht zu schaffen. Wie sehr schwankt die SPD?
Zunächst: Auch die CDU weiß, dass ein verpflichtender Wehrdienst derzeit nicht umsetzbar ist. Der Bundeswehr fehlen Ausbilderinnen und Ausbilder sowie Arbeitsmöglichkeiten, wie sie selbst einräumt. Dennoch ist die CDU wahrscheinlich ehrlicher als die SPD.
Michael Schulze von Glaßer, Jahrgang 1986, ist politischer Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und Beirat der Informationsstelle Militarisierung (IMI).
Inwiefern?
Ich gehe fest davon aus, dass das schwedische Modell kommen wird. Alle 18-Jährigen werden dann angeschrieben und befragt, ob sie einen Wehrdienst leisten wollen. Nun kontaktiert die Bundeswehr bereits jetzt fleißig junge Leute – ohne Erfolg. Das wird sich auch mit dem schwedischen Modell nicht ändern. Es läuft also wahrscheinlich auf eine Wehrpflicht hinaus.
Die Bundeswehr ist nicht alleine mit ihren Nachwuchssorgen. Ist die Debatte um die Wiedereinführung der Wehrpflicht auch eine Chance für die Friedensbewegung, sich zu verjüngen?
Ich sehe darin eine Möglichkeit, die Generationen zusammenzubringen: Auf der einen Seite gibt es viele ältere Friedensbewegte, die sich gut mit der Kriegsdienstverweigerung auskennen, schließlich haben sie das in den 70ern und 80ern selbst gemacht. Auf der anderen Seite stehen viele junge Leute, die sich jetzt mit der Verweigerung auseinandersetzen, denen es aber an Wissen fehlt.
Wie versucht die DFG-VK, diese jungen Menschen zu erreichen?
Wir setzen auf eine andere Ansprache. Kürzlich haben wir die Website verweigern.info gestartet, die ganz einfach zur Kriegsdienstverweigerung berät – fast wie ein kleines Spiel. Um die Seite bekannt zu machen, haben wir Influencer kontaktiert. Früher blieben solche Anfragen oft unbeantwortet, was sicher auch am Imageproblem der Friedensbewegung liegt. Ich setze das in Anführungszeichen, weil es die eine Bewegung ja gar nicht gibt. Viele sehen uns noch immer als Putinfreunde oder AfD-Nahe.
Und diesmal gab es eine Reaktion?
Ja, Ole Nymoen, der den Bestseller »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde«, hat unsere Nachricht gesehen. Er hat sich die DFG-VK genauer angeschaut und festgestellt, dass es viele Überschneidungen gibt. Daraufhin hat er andere Influencer informiert, die ebenfalls auf unsere Website verwiesen. Innerhalb weniger Tage hatten wir 100 000 Aufrufe – ein großer Erfolg.
Apropos Zahlen: Im Jahr 2024 hat sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerungen (KDV) im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. Wenn ich mich auf verweigern.info durchklicke, wird mir allerdings geraten, keinen KDV-Antrag zu stellen.
Wir empfehlen Ungedienten, sich nicht aktiv zu verweigern. Denn erst dadurch wird man zur Musterung eingeladen, was viele als unangenehm empfinden. Außerdem gerät man so erst auf den Radar der Bundeswehr. Wir raten dazu, eine Verweigerung vorzubereiten, sie aber noch nicht abzuschicken.
Dennoch unterstützen wir alle, die sich verweigern. Rund 3000 Menschen haben das 2024 getan – darunter über 1000 Reservisten und 150 aktive Soldaten. Etwa alle zwei Tage legt ein Soldat seine Waffe nieder.
Das ist wenig im Vergleich zur Truppenstärke der Bundeswehr von über 200 000 Soldat*innen und Reservist*innen.
Natürlich. Aber man muss sich das im Einzelfall vorstellen: Aktive Soldaten werden vom Waffendienst entbunden, bleiben aber in der Kaserne. Vorgesetzte sollen laut unseren Informationen gut mit Verweigerern umgehen. Wie das unter Kameraden aussieht, möchte ich mir lieber nicht vorstellen ...
Ein Argument gegen Ihre Position lautet: Gerade jetzt sei es politisch wichtig, den Kriegsdienst zu verweigern, um die Ablehnung der Wehrpflicht zu zeigen. Was sagen Sie dazu?
Wir freuen uns über die steigende Zahl der Verweigerer und helfen bei der Antragstellung. Dabei muss man beachten: In Deutschland gibt es nur ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, etwa wenn man sich nicht in der Lage sieht, mit einer Waffe zu töten. Eine Verweigerung aus politischen Gründen ist rechtlich nicht möglich, so nachvollziehbar diese Gründe auch sein mögen.
Am Wochenende veranstalten Sie den KDV-Kongress. Dort sprechen auch Verweigerer aus der Ukraine und Russland. Wie unterstützt die DFG-VK diese Menschen?
Wir schätzen, dass etwa 80 000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter in Deutschland leben. Ihr subsidiärer Schutz ist zeitlich begrenzt, und die ukrainische Botschaft stellt ihnen keine neuen Pässe aus, um sie zur Rückkehr und Einberufung zu zwingen. In Kassel, wo ich lebe, haben wir erreicht, dass die Ausländerbehörde auch abgelaufene Pässe anerkennt. Mit russischen Deserteuren und Verweigerern kennt sich der Verein Connection e.V. aus Offenbach gut aus.
Was erwarten Sie vom Kongress?
Wir wollen die Generationen zusammenbringen und haben deshalb viele junge Referenten eingeladen. Einige junge Menschen haben sich angemeldet, auch wenn die Mobilisierung schwierig war. Wir hoffen außerdem, neue Berater für Kriegsdienstverweigerung zu gewinnen. Die Anfragen nehmen zu und wir stoßen langsam an unsere Grenzen.
Anmerkung: Am 21. und 22. Juni 2025 veranstaltet die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner*innen (DFG-VK) einen bundesweiten Kongress zum Thema »Kriegsdienstverweigerung« (KDV) in Kassel. Mehr Informationen unter www.kdv-kongress.de
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.