Lehrstellenlücke öffnet sich

Überangebot an Ausbildungsplätzen in Brandenburg kann den Berliner Bedarf nicht decken

In Berlin entstehen derzeit an jedem Arbeitstag mehr als 200 neue Stellen. Das ist die Größenordnung eines mittelständischen Betriebs. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist binnen eines Jahres um 54 000 auf knapp 1,47 Millionen gestiegen. Der Arbeitslosenquote liegt nach Angaben der Arbeitsagentur nur noch bei 7,9 Prozent. »Zum ersten Mal seit der deutschen Einheit ist die Arbeitslosenquote in Berlin unter acht Prozent«, erläutert Regionaldirektionschef Bernd Becking. »Lange Zeit musste die Stadt einen steinigen Weg der wirtschaftlichen Erneuerung gehen, der aber nun zu Erfolgen führt.« Vor einem Jahr hatte die Erwerbslosenquote noch bei 8,8 Prozent gelegen. Von der positiven Entwicklung profitieren Männer und Frauen, Junge und Alte, Schwerbehinderte, Ausländer und bisher Langzeitarbeitslose. In allen dieser Gruppen sinken die Erwerbslosenzahlen. Es sind nun nur noch 33 061 Berliner länger als ein Jahr ohne Job gewesen. Im Juni 2017 waren es noch 38 312. Die Zahl der freien Stellen beträgt 25 399.

In Brandenburg ist die Entwicklung vergleichbar. Hier stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten binnen eines Jahres um fast 15 000 auf 844 000. Die Arbeitslosenquote liegt jetzt bei 6,0 Prozent und damit 0,7 Prozentpunkte unter dem Vorjahreswert. »Auch in Brandenburg ist die Arbeitslosenquote so niedrig wie nie zuvor«, sagt Becking und meint damit natürlich die Zeit ab 1991, denn in der DDR hatte es überhaupt keine Arbeitslosen gegeben. Bei der Arbeitsagentur und den Jobcentern sind jeweils weniger Männer und Frauen, Junge und Alte, Schwerbehinderte, Ausländer und Langzeitarbeitslose registriert als noch vor einem Jahr. Die Zahl der freien Stellen liegt bei 24 203.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schwärmt: »Sechs Prozent Arbeitslosenquote - wenn uns das vor zehn Jahren jemand prophezeit hätte, er wäre als Fantast gescholten worden. Jetzt haben wir sogar gute Chancen, in diesem Jahr noch die Fünf vor dem Komma zu erreichen.«

»Von der guten Entwicklung profitieren vor allem auch junge Menschen, die jetzt ihre Schule erfolgreich beenden«, meint Sozialministerin Diana Golze (LINKE). »Nachwuchskräfte werden in fast allen Bereichen gesucht. Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist gut.« Regionaldirektionschef Becking empfiehlt: »Jetzt kurz vor den Sommerferien sollte sich jeder Jugendliche einen Ruck geben und seine Lehrstelle klarmachen.« Zu den Berufen, in denen noch Lehrstellen frei sind, zählen Fachinformatiker, Mediengestalter und Lagerlogistiker. In Brandenburg suchen derzeit noch 6073 Jugendliche nach einer Lehrstelle. Sie haben die Auswahl, denn es sind im Moment 7039 Ausbildungsplätze frei. In Berlin ist das Verhältnis nicht so günstig für die Bewerber, weil auf 9176 Bewerber lediglich 7583 freie Lehrstellen kommen.

Mit insgesamt 14 285 Ausbildungsplätzen bewegt sich die Berliner Wirtschaft in diesem Jahr allerdings auf Rekordniveau, wie Marion Haß von der Industrie- und Handelskammer mitteilt. Das seien im Vergleich zum Vorjahr 866 Ausbildungsplätze mehr - und nie habe es in einem Juni mehr freie Ausbildungsplätze gegeben als jetzt. »Die Aussichten für Jugendliche, einen Ausbildungsplatz zu finden, waren selten so gut wie derzeit«, versichert Haß.

Doch der »allgemeine Anstieg der Beschäftigung« dürfe über die großen Herausforderungen auf dem Ausbildungsmarkt nicht hinwegtäuschen, warnt DGB-Landesbezirkschef Christian Hoßbach. In Berlin sei im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg der Bewerberzahlen um 8,3 Prozent zu verzeichnen. Dem stehe nur ein Plus von 5,6 Prozent bei den Ausbildungsplätzen gegenüber. Die Lücke klaffe damit weiter auseinander.

In den vergangenen Jahren riet die Arbeitsagentur Berliner Jugendlichen immer wieder, sich in Brandenburg nach einer Lehrstelle umzuschauen. Die Rechnung geht aber nicht ganz auf. Es fehlen in Berlin mehr Ausbildungsplätze, als es in Brandenburg überzählige Lehrstellen gibt. Die Lücke müsse zügig geschlossen werden, fordert Hoßbach. Denn eine Berufsausbildung eröffne jungen Menschen Perspektiven. Es gebe genug Unterstützungsmöglichkeiten für die Unternehmen, damit die Wirtschaft allen Jugendlichen eine Chance geben könne. Seite 13

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