»Abtreibung ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit«

Zwei mexikanische Feministinnen blicken zurück auf den jahrzehntelangen Kampf um selbstbestimmtes Schwangersein

  • Nils Brock, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Anfänge der feministischen Bewegung Mexikos fallen in die Zeit der Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts. In Mexiko-Stadt erreichte die Frauenbewegung nun einen großen Erfolg: Das Abtreibungsrecht wurde liberalisiert.
»Mexiko ist mehrheitlich ein katholisches Land, aber obrigkeitshörig sind wir nicht. Umfragen zeigen, dass die Hälfte der Bevölkerung es nicht als Widerspruch sieht, ein guter Katholik zu sein und eine Frau bei einem Schwangerschaftsabbruch zu unterstützen.« Das berichtet María Consuelo Mejía von der Organisation »Katholikinnen für das Recht auf Entscheidungsfreiheit« (CDD), die in den letzen Wochen kaum eine Demonstration und einen Fernsehauftritt ausgelassen hat, um in Mexiko-Stadt für das »Recht auf Abtreibung« zu werben. Um so erfreuter war die katholische Feministin als am 24. April das Parlament der Hauptstadt mit überraschend deutlicher Mehrheit für eine Liberalisierung der bestehenden Abtreibungsregelung stimmte. 46 der anwesenden 66 Abgeordneten unterstützten einen entsprechenden Vorschlag des linken Stadtrats. Künftig können die Bewohnerinnen der mexikanischen Hauptstadt bis zur 12. Schwangerschaftswoche legal in über 50 Krankenhäusern abtreiben, ganz ohne Zwangsberatung und persönliche Rechtfertigungen. Der Kampf um eine selbstbestimmte Schwangerschaft reicht weit zurück. 1915 fanden im mexikanischen Bundesstaat Tabasco und ein Jahr später in Yucatán erste feministische Treffen statt. »Damals wurden zwar vor allem Bildungsfragen diskutiert, aber ein wichtiges Thema war auch die Regulierung der Schwangerschaft«, erzählt Lucia Lagunes von der feministischen Organisation CIMAC. Diese ersten organisierten Wortmeldungen zu Zeiten der mexikanischen Revolution (1910-1917) wurden anfangs zu großen Teilen von einer aufklärerischen Avantgarde aus Lehrerinnen getragen. Nach der bewaffneten Phase der Revolution übten jedoch auch einzelne soziale Kämpferinnen wie Dolores Jiménez y Muro großen Einfluss auf die Diskussion von Frauenfragen aus, editierten Zeitungen und übernahmen Posten im Gesundheits- und Bildungswesen. Trotz der Präsenz einzelner »Auserwählter« in öffentlichen Ämtern und einer sich weiter konsolidierenden Frauenbewegung gelang es jedoch nicht, eine offensive Abtreibungsdebatte anzustoßen. »Lange Zeit dominierte das Thema >Frauenwahlrecht< die Diskussionen der in den 20ern gegründeten >Feministischen Ligen<«, sagt Lagunes. 1931 schließlich - es sollte noch über zwei Jahrzehnte dauern, bis der mexikanische Staat landesweit das universale Wahlrecht einführte - griff die Partei der Nationalen Revolution (PNR) doch einige Forderungen der Frauenbewegung auf. Fortan wurde Frauen zumindest auf dem Papier des Zivilgesetzbuches die Freiheit über ihre Person und Güter zugestanden und ein gleichberechtigtes Entscheidungsrecht in Familienfragen eingeräumt. Als Initialzündungen für einen offensiveren mexikanischen Feminismus wirkten nach Meinung von Lagunes schließlich das »Studentenmassaker« von 1968 und das große Erbeben in Mexiko Stadt 1985. »Beide Ereignisse haben bei vielen Frauen ein anderes politisches Bewusstsein geschaffen, für ihr Recht zu kämpfen und den Staat in die Verantwortung zu nehmen.« Doch neben dem mexikanischen Staat, dessen restriktive Politik jährlich über 1000 Tote bei missglückten Abtreibungsversuchen unter prekären Bedingungen fordert, hinterfragen kritische Katholikinnen wie Mejía von CDD seit Mitte der 80er Jahre auch verstärkt die kirchlichen Dogmen. »Abtreibung bleibt leider auch für aufgeschlossene Teile der katholischen Kirche eine schwierige Frage. Aber es gibt immer mehr Unterstützung, denn letztlich geht es um soziale Gerechtigkeit.« Der Erfolg in Mexiko-Stadt ist nur ein Etappensieg: »Wir werden weiter über diesen Sachverhalt aufklären, auch in anderen Teilen Mexikos, die nicht so liberal sind wie die Hauptstadt.« Außerdem will Mejía auch die Gouverneure der in Mexiko-Stadt regierenden Partei der Demokratischen Revolution (PRD) in anderen Bundesstaaten bei einer Novellierung des Abtreibungsrechts unterstützen. Lucia Lagunes und Maria Consuela Mejía finden indes beide, dass die Abtreibungsdebatte nur einen Teil des Kampfes um Geschlechtergleichheit darstellt. Während Lagunes die »genitalisierte Sexualaufklärung« in mexikanischen Schulen kritisiert, die weder eine männliche Verantwortung bei Verhütungsfragen noch die häusliche Gewalt thematisiere, sieht sich Mejía auch in einer Beobachterrolle: »Wir werden natürlich genau verfolgen, wie das Gesetz in Mexiko-Stadt umgesetzt wird und einen ähnlichen Gesetzesvorschlag auf nationaler Ebene unterstützen. Die Partei der Nationalen Aktion (PAN) von Präsident Felipe Calderon hat versucht, eine entsprechende Diskussion im Senat zu verhindern. Aber es wird diskutiert werden und zwar noch dieses Jahr.«

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