Regenschirm

Lexikon der Bewegungssprache

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Als typisch bürgerliches Accessoire stand der Regenschirm lange Zeit kaum im Verdacht, als Werkzeug linksradikaler oder herrschaftskritischer Protestpraxis genutzt zu werden, geschweige denn in irgendeiner Form zum essenziellen Mittel angeblich militanter Aktionen zu avancieren. Aber die repressive Polizeilogik im neoliberalen Zeitalter machte sogar das möglich. Bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt 2013 wurden im Frontblock der großen Bündnisdemonstration zahlreiche Regenschirme mitgeführt. Die wurden zum Teil schlicht als Sonnenschutz verwendet, fungierten aber auch als innovative Transparente, auf denen Parolen wie »Weg mit Hartz IV« oder »Fuck Austerity« zu lesen waren. Die während der Demonstration kompromisslos auftretende Polizei hielt mehr als 900 Menschen stundenlang in einem Kessel gefangen. Der Vorwurf gegen die mit den bunten Regenschirmen ausgerüsteten Protestierenden lautete: passive Bewaffnung und Vermummung. Das führte zwar zu viel Spott in den sozialen Medien, reichte aber, um an diesem Tag in Frankfurt gewaltsam die Law-and-Order-Logik zu implementieren. In der Folge wurden bunt bemalte Regenschirme bei Solidaritätsdemonstrationen zu einem Statement gegen polizeiliche Willkür. Der Regenschirm als Protest-Tool internationalisierte sich sogar. Gut ein Jahr später wurden massenhaft Regenschirme bei Studentenprotesten in Hongkong verwendet, um die Pfefferspray-Attacken der Polizei abzuwehren. Ebenso in Hongkong, wo bald von der Umbrella-Revolution gesprochen wurde, wie für die Blockupy-Proteste wurde der Regenschirm zum Symbol politischer Selbstermächtigung. schmi

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