Spielball der EU-Politik

Die Aquarius kann in Malta anlegen – die Retter sind sich jedoch sicher: eine langfristige Lösung ist das nicht

  • Sebastian Bähr.
  • Lesedauer: 5 Min.

Nach tagelanger Irrfahrt mit 141 Flüchtlingen an Bord hat nun Malta der »Aquarius« einen sicheren Hafen angeboten. Fünf Länder wollen die Geflüchteten aufnehmen. Können Sie nun aufatmen?

Wir haben die Nachricht bisher nur von Twitter erfahren. Natürlich begrüßen wir die Entscheidung. Wir weisen aber gleichzeitig daraufhin, dass dies nur eine kurzfristige Lösung darstellen kann. Aus fadenscheinigen Gründen werden immer noch verschiedene Seenotrettungsorganisationen an ihrer Arbeit gehindert. Unsere Forderung lautet demnach: Wenn man uns nun nach Malta einfahren lässt, muss man uns auch wieder herausfahren lassen.

Verena Papke
Verena Papke ist die deutsche Geschäftsführerin des Vereins SOS Mediterranée.  Die Organisation wurde im Mai 2015 gegründet, »in Reaktion auf das Sterben im Mittelmeer und der Untätigkeit der Europäischen Union diesem ein Ende zu setzen«. Sie betreibt gemeinsam mit Ärzte ohne Grenzen das Rettungsschiff »Aquarius«. Mit Papke sprach Sebastian Bähr.

Gibraltar hat der »Aquarius« mit dem Entzug der Flagge gedroht. Das Schiff sei im Land fälschlicherweise als Forschungs- und nicht als Rettungsschiff registriert. Befürchten Sie eine Festsetzung in Malta?

Die Vorwürfe sind haltlos. Wir sind als Rettungsschiff registriert und auch die vergangenen zwei Jahre ohne Probleme mit dem Flaggenstaat gefahren. Wir haben in dieser Zeit auch nichts Wesentliches geändert. Es gibt keine Regelverstöße, wegen denen man uns festhalten dürfte. Noch ist ja auch nichts passiert. Falls es doch dazu kommen sollte, muss man sehen, mit welchen Behauptungen sie versuchen, uns aus dem Verkehr zu ziehen.

Wie ist die Lage an Bord?

Über die Hälfte der 141 Geretteten sind Jugendliche und Kinder, die ohne Begleitung alleine geflüchtet waren. Ein Drittel sind Frauen. Wir haben keine medizinischen Notfälle an Bord, aber die Geretteten sind erschöpft. Viele haben Folterspuren, die ihnen vermutlich in Libyen zugefügt wurden. Die Flüchtlinge erzählen, dass fünf Boote an ihnen vorbeigefahren sind, ohne sie zu retten.

Mehrere Länder hatten der »Aquarius« einen sicheren Hafen verweigert. Mit wem hatten Sie Kontakt?

Es ist nicht unsere Entscheidung, welchen Hafen wir anfahren, sondern die der koordinierenden Seenotleitstelle. Die beiden Rettungen liefen unter Koordination der Libyer, diese haben uns jedoch danach keinen Hafen zugewiesen, sondern an andere Seenotleitstellen verwiesen. Offiziell hatten wir dann die zuständigen weil nächstgelegenen Seenotleitstellen bei Malta und Italien angefragt, bis zu dreimal am Tag. Alles andere, wie die Äußerungen von Spanien, vernahmen wir nur aus den Medien. Niemand fühlte sich zuständig und alle schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu.

Spaniens Regierung hatte jüngst noch erklärt, dass es keinen sicheren Hafen geben könne, da keine »humanitäre Notlage« auf der »Aquarius« herrsche. Empfinden Sie so eine Aussage als Zynismus?

Die Tatsache, dass sich Madrid auf den gesundheitlichen Zustand der Geretteten fokussierte, lenkte von der eigentlichen Debatte vollkommen ab. Es geht nicht darum, ob jemand schwerverletztes an Bord ist und deswegen ein Schiff an Land gehen darf. Es geht darum, dass jetzt wieder jeder EU-Mitgliedsstaat nach Gründen suchte, warum er offensichtlich nicht in der Lage ist, die geretteten Flüchtlinge an Land zu lassen.

Auch die EU-Kommission hatte Druck auf die Mitgliedsländer ausgeübt. Ein gutes Zeichen?

Es wäre vor allem gut, wenn die EU endlich anerkennt, dass das Dublin-System nicht funktioniert. Sie müsste daraus folgernd zum einen sicherstellen, dass die diesbezügliche Uneinigkeit in Europa nicht auf dem Rücken von Geretteten und zivilen Rettern ausgetragen wird. Seit der letzten Irrfahrt der »Aquarius« vom Juni hat sich hier aber offensichtlich nichts geändert. Zum anderen müsste ein System etabliert werden, wonach die Schutzsuchenden innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten solidarisch aufgeteilt werden. Nun bewegt sich zwar etwas, aber mit Sicherheit noch nicht genug.

Angela Merkel verhandelt Rücknahmeabkommen mit anderen EU-Ländern, bei ihrer Sommerpressekonferenz verteidigte sie die libysche Küstenwache. Enttäuscht Sie das?

Die Bundesregierung trägt eine Mitverantwortung an den Toten, die seit Juni im Mittelmeer ertrunken sind. Und auch Berlin hilft gerade dabei, das Mittelmeer zu einer menschenrechtsfreien Zone zu machen. Dieses Verhalten ist deprimierend. Wir stehen aber für einen Dialog bereit. Und fordern die Bundesregierung erneut dazu auf, humanitäre Hilfe nicht zu kriminalisieren und das internationale Seerecht anzuerkennen. Dieses schreibt vor, das gerettete Menschen zu einem sicheren Hafen gebracht werden müssen. Einem Ort also, wo Schutzsuchende nicht bedroht oder diskriminiert werden, wo ihre Grundbedürfnisse und Menschenrechte erfüllt sind, wo ein funktionierendes Asylsystem besteht. Ein sicherer Hafen existiert demnach derzeit weder in Libyen noch in anderen nordafrikanischen Ländern.

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Wie bewerten Sie das Vorgehen der libyschen Behörden während der Rettungseinsätze?

Wir hatten offiziell die Koordination der Libyer bei den Rettungseinsätzen anerkannt, aber letztlich die zwei Schlauchboote selber gefunden. Die libysche Küstenwache hatte uns als nächstgelegenes Schiff diese Notfälle nicht zugewiesen, obwohl es ihre Aufgabe gewesen wäre. Zu einer kompetenten Seenotleitstelle gehört auch, dass sie einen sicheren Hafen zuweisen kann. Hier hatte die libysche Seenotleitstelle komplett ihre Verantwortung abgegeben. Vor diesem Hintergrund kann man die Frage stellen, ob die Anerkennung der libyschen Seenotleitstelle die richtige Entscheidung der EU war.

Wenn man die ganzen Reaktionen zusammen betrachtet - wurde über die »Aquarius« erneut ein Machtkampf ausgetragen?

Die zivilen Seenotrettungsorganisationen und jetzt auch die »Aquarius« sind definitiv zum Spielball europäischer Mitgliedstaaten geworden, die sich offensichtlich nur sehr schwer einigen können, wer Schutzsuchende aufnimmt.

Zehntausende gehen derzeit in ganz Deutschland gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung auf die Straßen. Wie kommt die »Seebrücke«-Bewegung bei Ihnen an?

Das finden wir super. Was sich gerade mit den Mobilisierungen innerhalb der Zivilgesellschaft, mit den »Seebrücke«-Protesten oder auch mit unserer Kampagne »Spende Menschlichkeit« zeigt: Es gibt viele Leute, denen die Abschottungspolitik und die Kriminalisierung der Seenotrettungsorganisationen zu weit gehen. Die unterschiedlichen Aktionen tun dem Team auf dem Schiff und auch an Land unglaublich gut. Und es beweist, dass auch wir viele sind. Nicht jeder denkt, Seenotretter seien Schlepper. Die Leute, die nun ihre Stimmen erheben, verteidigen die Menschenrechte vor den Toren Europas.

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