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Wagenknecht bleibt am Drücker

Dem BSW steht am Wochenende erstmals ein Bundesparteitag mit kontroversen Debatten bevor

Leere Stühle vor dem Berliner Reichstag: Mit diversen Aktionen macht das BSW Druck in Sachen Neuauszählung der Bundestagswahl.
Leere Stühle vor dem Berliner Reichstag: Mit diversen Aktionen macht das BSW Druck in Sachen Neuauszählung der Bundestagswahl.

Zu den gut gepflegten, von den Medien gern übernommenen Mythen gehört die Behauptung, das BSW habe 2024, kurz nach seiner Gründung, »aus dem Stand« oder »aus dem Nichts« zweistellige Wahlergebnisse erzielt. In der Tat, es war ein Blitzstart, aber aus dem Nichts? Schon lange vorher hatte Sahra Wagenknecht in der Linkspartei ihr eigenes Projekt verfolgt. Die Aufstehen-Bewegung im Jahr 2018 war ein erster Versuch, sich politisch selbstständig zu machen, der dann aber im Sande verlief. Stufe zwei war Wagenknechts Buch »Die Selbstgerechten«, eine Generalabrechnung mit der Linken als Partei und als Bewegung, präzise platziert im Frühjahr 2021, zu Beginn des Bundestagswahlkampfs.

Mit diesem Buch, das heute als eine Art Gründungsdokument des BSW gelten kann, tourte Wagenknecht in den folgenden Jahren unentwegt durch Deutschland. Bis sie im Herbst 2023 – Stufe drei – den offenen Bruch mit der Linken vollzog und mit einer Handvoll Getreuer Partei und Bundestagsfraktion verließ, unter Mitnahme der Mandate. Sie hatte einen günstigen Moment genutzt: Ukraine-Krieg hier, Wirtschaftskrise da, Teuerungswellen dort, Teile der Ampel-Regierung verfeindet. Und mit dem Medienhype um die Gründung des BSW strichen Wagenknecht und Co. die Rendite des jahrelangen zermürbenden Streits um ihre Person und die Ausrichtung der Linken ein.

Von Wagenknechts Ausstrahlung lebt das BSW noch immer in allererster Linie. Das wird sich absehbar nicht ändern, auch wenn sie beim Parteitag an diesem Wochenende in Magdeburg nicht mehr als Vorsitzende kandidiert und ihr Name aus dem Parteititel verschwindet. Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft soll die Partei künftig heißen, wenn es nach dem Willen der Führung geht. So wird es wahrscheinlich kommen, aber es gibt auch einen Gegenvorschlag, der das Kürzel BSW so interpretiert: Bürger schaffen Wandel – Vernunft und Gerechtigkeit.

Abweichende Vorschläge und Kritik wären in jeder Partei normal; beim BSW waren sie zumindest auf Bundesparteitagen bisher weithin unüblich. Doch die Zeit des Jubels dürfte vorbei sein, zu drängend sind die Probleme. Da ist an erster Stelle das zähe Bemühen um die Neuauszählung der Bundestagswahl, bei der das BSW im Februar nur äußerst knapp scheiterte. Der zuständige Ausschuss des Bundestags tendiert deutlich dazu, die Wahlbeschwerde des BSW zu verwerfen (die Entscheidung fiel nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe); das entsprechende Votum des Bundestagsplenums wird bald folgen. Dann kann die Partei sich an das Bundesverfassungsgericht wenden, aber auch dieses Verfahren wird sich hinziehen.

Die Zeit des Jubels dürfte vorbei sein, zu drängend sind die Probleme.

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Vorerst befasst sich das BSW ganz gern mal mit sich selbst. In mehreren Landesverbänden knirscht es mehr oder weniger vernehmlich. Der Hintergrund ist neben persönlichen Animositäten, die es in jeder Partei gibt und in einer neuen erst recht, die Auseinandersetzung um die grundsätzliche Linie: Soll die Partei mitregieren und gestalten, wo es geht, oder generell opponieren? Wagenknecht hätte gern letzteres, musste aber zusehen, wie sich das BSW in Landesregierungen begab, wo es sich mal mehr (Thüringen), mal weniger (Brandenburg) renitent eher um landespolitische Kompromisse als um die Parteilinie kümmert. Und auch dort, wo Landtag und Mitregieren in weiter Ferne liegen, fliegen die Fetzen. Gerade erst wurde in Sachsen-Anhalt ein Großteil des Landesvorstands abgewählt, weil diese Leute eine schärfere Abgrenzung von der AfD wollen. Durchgesetzt haben sich jene, die keinesfalls in eine Regierung möchten – auch nicht, um die AfD von der Macht fernzuhalten. Wie die Mehrheit den Kampf gegen rechts sieht, brachte dieser Tage die sächsische BSW-Landtagsabgeordnete Sabine Zimmermann auf den Punkt: Linke und Grüne, sagte sie im Parlament, hätten »ihre Bestimmung in der Hetze gegen rechts gefunden«.

Die scharfe Abgrenzung zur AfD in Form einer Brandmauer wird auch im Leitantrag an den Parteitag kritisiert. In dem Papier bezeichnet sich das BSW als einzige konsequente Friedenspartei, erhebt soziale Forderungen etwa zu Rente und Mindestlohn und fordert eine stärkere Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen. Wie dies damit zusammenpasst, dass das BSW in Brandenburg die Einrichtung von Bürgerräten blockiert, sei dahingestellt.

An der Programmatik des BSW wird die Parteigründerin künftig verstärkt feilen. Sahra Wagenknecht zieht sich vom Parteivorsitz zurück, bleibt aber als Chefin einer neuen Grundwertekommission in einer einflussreichen, wahrscheinlich in der entscheidenden Position, abgesichert mit einem Sitz im Vorstand. Diejenigen, die das BSW leiten sollen, entstammen zum allergrößten Teil ihrem engsten Umfeld. Auf der vorgeschlagenen Liste für das künftige Präsidium stehen sehr überwiegend ehemalige Linke-Politiker. Insofern ist die Behauptung des BSW-Führungszirkels ziemlich übertrieben, man gehe mit einem »breit aufgestellten« Kandidatenkreis in den Parteitag.

Das ist auch dem Brandenburger Finanzminister Robert Crumbach aufgefallen, der »keine Linke 2.0« will. Der ehemalige Sozialdemokrat wird deshalb als Parteichef kandidieren, neben den von Wagenknecht bevorzugten Kandidaten Amira Mohamed Ali und Fabio De Masi. Erfolg dürfte Crumbachs Bewerbung kaum haben, zumal er erst im Sommer 2025 auf Drängen der Parteiführung den Landesvorsitz in Brandenburg abgegeben hatte, weil angeblich Minister- und Parteiamt eine Person überforderten. Tatsächlich war das nur ein Schachzug im Hintergrund der Auseinandersetzungen Wagenknechts mit dem Thüringer BSW.

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Falls sich Crumbach doch durchsetzt, könnte er zwar gleich noch die mickrige Vertretung der ostdeutschen Landesverbände in der Parteiführung leicht verbessern, nicht aber die ebenso traurige Frauenquote. Es gibt jedoch auch generelle Kritik an der Kandidatenliste der Parteiführung. So sollte nach Auffassung von Stefan Wogawa, Parlamentarischer Geschäftsführer der BSW-Fraktion im Thüringer Landtag, »dem neu zu wählenden Bundesvorstand kein Mitglied des bisherigen Präsidiums angehören«. Er begründet das auf der Plattform X mit dem »Desaster bei der Bundestagswahl, der darauf folgenden kompletten Paralyse des Bundesvorstands und der daraus resultierenden zunehmenden Krise des BSW«.

Dieser radikale Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Immerhin erscheint es jetzt möglich, dass die Landesverbände auch angesichts steigender Mitgliederzahlen selbstbewusster werden und mehr Gewicht in den Parteidebatten bekommen. Aber: Wagenknecht und ihr Zirkel haben den entscheidenden Einfluss. Und das wird absehbar so bleiben.

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