Wirtschaftsminister tritt zurück

Rot-Rot beteuert: Persönliche Gründe für Albrecht Gerbers Schritt, kein Zusammenhang mit Lunapharm-Skandal

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Unverhofft kommt oft. In Brandenburg tritt wieder einmal ein Minister zurück, aber die seit Wochen schwer unter Druck stehende Sozialministerin Diana Golze (LINKE) ist es nicht. Am Dienstag stellte - völlig unerwartet - Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) sein Amt zur Verfügung. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass er Mitte September gehen will, bis dahin aber nur noch eine Auswahl seiner geplanten Termine wahrnehmen werde. Prompt wurde das für diesen Mittwoch anberaumte Pressefrühstück abgesagt, bei dem Gerber eigentlich ein neues Außenwirtschaftskonzept vorstellen sollte.

Der scheidende Minister stellte sich am Dienstagvormittag in der Staatskanzlei gemeinsam mit Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) vor die Medien und erklärte, die Belastungen des Amtes aus persönlichen Gründen nicht mehr wahrnehmen zu können und auch nicht mehr wahrnehmen zu wollen. Er habe bei seiner Vereidigung 2014 geschworen, mit ganzer Kraft zum Wohle der Menschen im Land Brandenburg zu arbeiten. Diese Kraft bringe er nicht mehr auf. In Zukunft werde er sich eine Tätigkeit suchen, die ihm ermögliche, »jederzeit flexibel und vorrangig für die Familie da zu sein«. SPD-Fraktionschef Mike Bischoff nannte den Rücktritt Gerbers einen »nachvollziehbaren, für ihn nicht ganz leichten Schritt«. Es heißt, ein Angehöriger Gerbers sei schwer erkrankt, und um den wolle er sich kümmern.

Ministerpräsident Woidke, dem man die Betroffenheit ansah, sprach von einer »sehr schwierigen Entscheidung« des Wirtschaftsministers, die er respektiere und die er auch »richtig« nannte. Die Verantwortung für die Familie hätte sich für Gerber nicht mehr mit der Verantwortung als Minister vereinbaren lassen. Zu Spekulationen darüber, dass es zwischen dem Ministerpräsidenten und dem Wirtschaftsminister wegen des Ausstiegs aus der Braunkohle zu Verstimmungen gekommen sei, sagte Woidke, es habe bei diesem Thema »nicht die Spur einer Kontroverse« zwischen ihnen beiden gegeben.

Zuletzt hatte die SPD bei Ministerrücktritten immer gleich einen Nachfolger präsentiert. Diesmal nicht. Woidke begründete dies damit, dass er erst am Sonntag von der neuen Lage unterrichtet worden sei und die Auswahl »nicht über das Knie brechen«, sondern »in Ruhe« vornehmen werde. Frühestens am 19. September, anlässlich der Landtagssitzung, werde er eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Albrecht Gerber präsentieren.

Linksfraktionschef Ralf Christoffers, der vor Gerber von 2009 bis 2014 Wirtschaftsminister gewesen ist, musste sich anschließend fragen lassen, ob er als neuer Wirtschaftsminister zur Verfügung stehe. Doch er antwortete, das sei nicht der Fall. Vermutungen, nun würden die Chefposten im Wirtschafts- und im Sozialministerium in einem Aufwasch neu besetzt, wies Christoffers zurück. Beides habe miteinander nichts zu tun. Es gehe nicht an, diese beiden Sachverhalte »zu vermischen«. Auf Nachfrage orakelte er, in der Öffentlichkeit werde möglicherweise ein solcher Zusammenhang konstruiert. Dies werde die Debatte um den Lunapharm-Skandal »nicht leichter« machen.

Dass beide Ministerfälle getrennt zu betrachten seien, bestätigte auch SPD-Fraktionschef Mike Bischoff. Es war jedoch die SPD, die den Anlass zu solchen Spekulationen geliefert hatte. Der Reihe nach: Die Firma Lunapharm soll in Griechenland gestohlene und eventuell wirkungslose Krebsmedikamente an deutsche Apotheken geliefert haben. Das Landesgesundheitsamt soll mit Hinweisen auf die kriminellen Machenschaften nicht richtig umgegangen sein. Nachdem Ministerin Golze deswegen unter Druck geriet, obwohl sie von den Vorgängen keine Kenntnis hatte, streuten SPD-Kreise die Idee, die Sozialdemokraten könnten im Rahmen einer Kabinettsumbildung das Sozialressort zurückerhalten und die LINKE bekäme dafür ein anderes Ministerium. Die Frage dabei war nur, welches Ministerium das sein sollte. Gerbers Rücktritt scheint diese Frage zu beantworten. Wenn jedoch der Ministerpräsident wirklich erst am Sonntag Kenntnis von Gerbers Rücktrittsabsichten erhielt, dann kann es keine langfristigeren Pläne zu einer Personalrochade in der beschriebenen Weise gegeben haben.

Linksfraktionschef Christoffers trat energisch dem Eindruck entgegen, die rot-rote Regierung drohe zu zerfallen. Mit dem Verweis auf persönliche Gründe war vor einem knappen Jahr Bildungsminister Günter Baaske (SPD) zurückgetreten. Er hatte zur Begründung angeführt, er werde bald 60 Jahre alt und seine kleine Tochter, die in die Schule komme, brauche ihn. Die Gründe Gerbers und Baaskes seien »nicht vergleichbar«, findet Christoffers.

Albrecht Gerber stammt aus Preetz in Schleswig-Holstein. Er hat in Bonn und Berlin Politikwissenschaften studiert und schon seit den 1990er Jahren in verschiedenen Positionen für die brandenburgische SPD und ihre Politiker gearbeitet - unter anderem als Büroleiter der Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck. Vor seiner Zeit als Wirtschaftsminister war Gerber Chef der Staatskanzlei. Der 51-Jährige gilt als linker Sozialdemokrat. Daher ist es kein Zufall, wer ihm jetzt für seine Arbeit dankt. So sagte Finanzminister Christian Görke (LINKE): »Als Koalitionspartner konnte man sich auf Albrecht Gerber immer verlassen.« Durch ihn sei eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gerade in den ersten Jahren der rot-roten Koalition hergestellt und gepflegt worden.

DGB-Landesbezirkschef Christian Hoßbach bedauerte den Rücktritt, versteht jedoch: »Politik ist eben doch nicht alles.« Gerber habe als Minister gezeigt, »dass Wirtschaftspolitik und gute Arbeit nicht im Widerspruch zueinander stehen«, dass »Mitbestimmung und sichere Einkommen« zu einer »modernen und demokratischen Wirtschaft« gehören. »Dafür danke ich ihm«, sagte Hoßbach.

Aber auch die Unternehmensverbände bedauern den Rücktritt. Hauptgeschäftsführer Christian Amsinck erklärte: »Herr Gerber hat an der guten Entwicklung der Unternehmen in Brandenburg in den vergangenen Jahren seinen Anteil - die Industrie wächst, die Beschäftigung nimmt zu, die Arbeitslosigkeit ist deutlich zurückgegangen. Zudem hatte er stets im Blick, neue Perspektiven insbesondere für die Lausitz zu entwickeln und vor einem überhasteten Ausstieg aus der Nutzung der Kohle zu warnen.«

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