Wie aus 661 Sassnitzern mal eben 852 werden

Mecklenburg-Vorpommern: Rügener Bürgerinitiative gegen die geplante Königsstuhl-Plattform sieht sich von der Stadtverwaltung betrogen

  • Martina Rathke, Sassnitz
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Bürgerentscheid zur schwebenden Plattform am Königsstuhl - dem Wahrzeichen der Insel Rügen - ist geplatzt, bevor er überhaupt begonnen hat. Der eigentlich schon beschlossene Entscheid wurde am Dienstagabend vom Abstimmungsausschuss in Sassnitz überraschend für unzulässig erklärt. Der Grund: Die Verwaltung habe für die Ermittlung des für den Bürgerentscheid notwendigen Quorums von zehn Prozent eine viel zu niedrige Zahl an Wahlberechtigten zugrunde gelegt.

Man sei zunächst von 6610 wahlberechtigten Sassnitzern ausgegangen, die tatsächliche Zahl der Wahlberechtigten liege aber bei 8518, sagte Bürgermeister Frank Kracht (parteilos). In der entsprechenden Beschlussvorlage war - in Annahme von 6610 Wahlberechtigten - deshalb von 661 erforderlichen Unterschriften die Rede. Tatsächlich notwendig gewesen wären aber 852 gültige Unterschriften - 47 mehr als abgegeben worden seien. Der Bürgerentscheid sollte am 29. September per Briefwahl starten.

Bürgermeister Kracht, der als Befürworter der Plattform gilt, kann sich den Fehler in der Verwaltungsvorlage nicht erklären. »Wie die Zahl dort hineingekommen ist, konnte bislang nicht geklärt werden«, sagte er. Als Verwaltungschef übernehme er aber die Verantwortung. Nun muss sich das Stadtparlament am 18. September mit dem Vorgang beschäftigen.

Die Plattform am Königsstuhl ist auf der Insel heftig umstritten. Die Bürgerinitiative, die den Bürgerentscheid initiiert hatte und den Bau an der Steilküste Rügens verhindern möchte, will die Entscheidung nicht hinnehmen. »Da steckt Kalkül dahinter, um einen Bürgerentscheid möglichst zu verhindern«, sagte BI-Sprecher Norbert Dahms. »Das Vertrauensverhältnis zur Stadt ist zerstört.«

Dahms hat bereits am Mittwoch Widerspruch eingelegt. Er will verhindern, dass der Bürgerentscheid endgültig für unzulässig erklärt wird. Zunächst müsse nochmals nachgezählt werden, denn abgegeben wurden insgesamt 1067 Stimmen. Wie Dahms weiter berichtete, hat die BI im Gegensatz zur Verwaltung 992 gültige Stimmen gezählt. Man habe bei der Bekanntgabe der gültigen Stimmen aber nicht sofort interveniert, weil man davon ausgegangen sei, dass man auch mit 805 Unterschriften die Hürde locker übersprungen habe.

Kritiker befürchten, dass der Bau den Blick auf den Königsstuhl beeinträchtigt und die Bauarbeiten die Festigkeit des Steilküstenmassivs gefährden könnten. Mit dem Bürgerentscheid sollten die Einwohner von Sassnitz über das Vorhaben abstimmen. Die Bürgerinitiative schätzt, dass die Mehrheit der Einwohner das Bauwerk nicht möchte.

Hintergrund des geplanten Neubaus ist nach Angaben der Stadt der Zustand der Felsformation, insbesondere des auf dem Klippenrücken liegenden Königsgrabes, über das jährlich etwa 300 000 Touristen und Einheimische das 118 Meter hohe Plateau betreten.

Dieser Zugang ist nach Einschätzung des Nationalparkzentrums, an dem die Umweltorganisation WWF mit 90 und die Stadt Sassnitz mit zehn Prozent beteiligt sind, der Belastung dauerhaft nicht gewachsen. Es seien bereits Abbrüche und Materialverluste sichtbar, die seine Begehbarkeit mittelfristig gefährdeten.

Die Brücke soll den Weg und den Königsstuhl entlasten. Die Kosten für die geplante Plattform werden auf etwa sieben Millionen Euro geschätzt. Das Wirtschaftsministerium in Schwerin hatte Bereitschaft zur Förderung signalisiert. Kritiker wie Dahms befürchten, dass mit dem Bauwerk noch mehr Touristen in das sensible Naturgebiet kommen.

Die BI kritisiert zudem, dass die Stadt Sassnitz einen Flyer zum Für und Wider der Plattform herausgegeben hat. »Nur leider wurden wir als Bürgerinitiative dabei nicht gefragt«, sagt Dahms. Die Broschüre sei unausgewogen und einseitig. Die Stadt als Herausgeberin beeinflusse mit Falschaussagen die Wahlentscheidung der Bürger. dpa/nd

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