LINKE und CDU vereint gescheitert

Ungewöhnliches Kreistagsbündnis unterliegt bei der Landratswahl in Ostprignitz-Ruppin im Losverfahren

Mit großer Aufregung und mit einer faustdicken Überraschung ist am Donnerstagabend die Wahl eines neuen Landrats in Ostprignitz-Ruppin über die Bühne gegangen. 24 von 45 anwesenden Kreistagsabgeordnete hätten bei einer Sondersitzung in der Aula des Oberstufenzentrums in Neuruppin im ersten Wahlgang für den aktuellen Landrat Ralf Reinhardt (SPD) oder für den Herausforderer Egmont Hamelow (CDU) stimmen müssen.

Hamelow war der Favorit, erreichte im ersten Wahlgang aber nur 23 Stimmen. Diese 23 Stimmen hätten im zweiten Wahlgang ausgereicht, aber da wurde dann eine ungültige Stimme gezählt und es ergab sich daraus ein Patt von 22 zu 22 Stimmen. Es entschied wie für solche Fälle vorgesehen das Los - und das fiel auf Ralf Reinhardt. Als Kreistagsvorsitzende Manfred Richter (SPD) den in einem verschlossenen Briefumschlag gezogenen Namen Reinhardts vorlas, brach ohrenbetäubender Jubel aus und die Anhänger des Landrats sprangen von ihren Sitzen. Hamelows Unterstützer blieben zunächst sitzen und beobachteten fassungslos den Freudentaumel der anderen.

Hamelow wusste eigentlich nicht nur die eigene Partei hinter sich, sondern mittels einer schriftlich vereinbarten Kooperation auch die Bauern und die Freien Wählergemeinschaften sowie auch - und das war ein überregional beachteter Paukenschlag - die LINKE.

Allerdings hatte Hamelow nicht alle Sozialisten auf seiner Seite. Denn Enno Rosenthal, der schon vor geraumer Zeit aus Linkspartei und Linksfraktion austrat, fühlt sich noch als Sozialist. »Ich habe mit der Mitgliedskarte nicht meine Gesinnung abgegeben«, betonte Rosenthal. Er bemerkte mit zitternder Stimme, er habe es immer so verstanden, dass um den Sozialismus offen und ehrlich gerungen werden müsse und nicht mit Winkelzügen und Hinterzimmerabsprachen. Dass sich seine ehemaligen Genossen nun in Ostprignitz-Ruppin mit der CDU zusammentaten, das ging Rosenthal gegen den Strich.

Unzufrieden war auch Siegfried Wittkopf. Er war 1998 wegen der unsozialen Politik des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) aus der SPD ausgetreten und gehörte später der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) an, machte deren Vereinigung mit der PDS zur Linkspartei aber nicht mit. Seit drei Jahren sitzt Wittkopf nun schon als Parteiloser in der Linksfraktion Ostprignitz-Ruppin und fühlte sich dort bis jetzt gut aufgehoben. Er hat in der Fraktion auch für die Kooperation mit der CDU votiert. Die Entscheidung fiel einstimmig. Ins Nachdenken geriet der 77-Jährige erst, als ihn seine Frau und seine Tochter empört fragten: »Wie könnt Ihr das mit der CDU machen?«

Wittkopf sagte unmittelbar vor Beginn der Kreistagssondersitzung, er halte es für möglich, dass auch andere Abgeordnete von LINKE und CDU mit diesem Bündnis ihre Probleme haben und dass deswegen nicht alle geschlossen für Hamelow stimmen. So kam es dann auch. Obwohl das Bündnis von der Papierform her zwei Stimmen über den Durst hatte, gelang Hamelow der Sieg weder im ersten noch im zweiten Wahlgang, und er hatte auch kein Losglück.

Ob sich die eigentlich auf acht Jahre angelegte Kooperation mit der CDU dadurch erledigt hat oder ob die beiden Parteien trotzdem zusammenarbeiten, blieb am Donnerstagabend offen. »Das müssen die Gremien entscheiden«, erklärte der LINKE-Kreisvorsitzende Paul Schmudlach. Ähnlich äußerte sich CDU-Kreistagsfraktionschef Sebastian Steinecke, der auch im Bundestag sitzt.

Wie war es überhaupt zu dem Bund aus CDU und LINKE gekommen? Die LINKE wirft Ralf Reinhardt vor, er habe sich vor acht Jahren von ihr zum Landrat wählen lassen und sich schon kurz danach nicht mehr an Vereinbarungen über gemeinsame politische Ziele gehalten. Nun habe Reinhardt wieder die Stimmen der Sozialisten gewollt. Die SPD habe jedoch klargemacht, dass es einen schriftlichen Kooperationsvertrag nicht geben werde. So einigte sich die enttäuschte LINKE dann mit der CDU.

In der Fragestunde der Kreistagssitzung wollte ein Bürger wissen, ob es bei der Landratswahl um Kompetenz oder um Posten gehe. Ein anderer Bürger appellierte an CDU und LINKE, an ihre Vergangenheit als DDR-Blockparteien zu denken. Damals sei die Demokratie mit Füßen getreten worden. Nun sollten die beiden Parteien den Bürgerwillen akzeptieren. Besonders die LINKE solle an ihr Image denken und für den Sozialdemokraten Reinhardt stimmen.

Bei der Direktwahl durch die Einwohner des Landkreises hatte Reinhardt die Stichwahl am 6. Mai mit 59 Prozent gewonnen. Bei einer geringen Wahlbeteiligung von 24,6 Prozent verfehlte er allerdings das Quorum. In Brandenburg muss der Sieger einer Landratswahl mindestens 15 Prozent der Stimmen aller Wahlberechtigten erhalten. Ansonsten - und das war hier der Fall - gilt die Direktwahl nicht. Der neue Landrat wird dann durch den Kreistag bestimmt.

Der dritte Bewerber Christian Schmidt (parteilos) machte sich am Donnerstagabend erst gar keine Illusionen über seine Chancen. »Ich bin Richter und es sieht so aus, als ob ich das bleibe«, gestand er. Schmidt wurde nicht einmal wie erforderlich von einem Kreistagsabgeordneten für die Wahl vorgeschlagen, stand also gar nicht auf den Stimmzetteln.

Es wurde der Vorwurf laut, die Zuschauer seien hier Zeuge eines hinter den Kulissen eingefädelten Postengeschachers. Egmont Hamelow, im Moment Vizelandrat in Oberhavel, war früher Bürgermeister in Heiligengrabe. Als er sich beruflich neu orientierte, wurde sein Kämmerer Holger Kippenhahn (LINKE) sein Nachfolger. Nun sollte Kippenhahn Vizelandrat werden. Soviel steht fest.

Den Vorwurf des Postenschachers weist Linksfraktionschef Freke Over jedoch zurück. »Wir wollen Inhalte durchsetzen«, beteuerte er. Mit der SPD habe man stundenlang vergeblich um eine Verständigung gerungen. »Mit der SPD konnten wir uns nicht auf einen Bürgerhaushalt einigen. Mit der CDU konnten wir es und haben es getan.«

Freke Over war einst in der linksalternativen Hausbesetzerszene aktiv und saß viele Jahre im Berliner Abgeordnetenhaus, bevor er der Berufspolitik den Rücken kehrte, nach Lohme bei Rheinsberg zog und sich dort mit einem Ferienlager selbstständig machte, in dem sich Familien und Kitagruppen erholen. In Berlin hatte er so manchen Strauß mit rechtskonservativen Innensenatoren wie Jörg Schönbohm und Eckart Werthebach ausgefochten. Wenn ihm damals jemand prophezeit hätte, dass er einmal mit der CDU kooperieren würde, hätte er ihn für komplett übergeschnappt gehalten, gibt Freke Over zu. Wie die Wähler von CDU und LINKE das vertraglich vereinbarte Zusammengehen dieser beiden sehr unterschiedlichen Parteien aufnehmen, wird sich bei der Kommunalwahl im Mai 2019 erweisen.

Ralph Bohrmann von den Freien Wählergemeinschaften wehrte sich am Donnerstagabend gegen die Behauptung, der Posten eines zweiten Vizelandrats solle extra für ihn geschaffen werden, was Teil eines Deals sei, damit seine Fraktion personell auch etwas einer Wahl Egmont Hamelows zum Landrat gehabt hätte. Er strebe den Posten eines Vizelandrats keineswegs an, versicherte Bohrmann noch vor dem Abstimmungskrimi.

Während der stellenweise turbulenten Kreistagssitzung gab es aus den Zuschauerreihen mal ein großes Hallo und mal lautstarken Applaus, wenn gegen die Vorgehensweise von CDU und LINKE protestiert wurde. Der Kreistagsvorsitzende Manfred Richter (SPD) ermahnte dann neutral, von Beifallsbekundungen abzusehen. Das sei nicht gestattet. »Wir sind hier nicht im Theater.«

Beispielsweise mehr Zuschüsse für Jugend und Kultur, zusätzliche Busverbindungen und die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Asylbewerber hatten CDU, LINKE und Freie Wählergemeinschaften in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Mit diesen Punkten hatte die LINKE um Verständnis dafür geworben, dass sie den ungewöhnlichen Bund mit der CDU eingegangen war.

Die Kooperation ergab sich aus lokalen Besonderheiten und persönlichen Befindlichkeiten. Ihr wurde jedoch überregional Beachtung geschenkt. Sogar ein ZDF-Kamerateam war am Donnerstagabend vor Ort. Das ZDF wäre bei einer rot-rot-grünen Kooperation nicht gekommen, ist Linksfraktionschef Over überzeugt. Das wäre ja nichts Besonderes gewesen.

Für extra Aufmerksamkeit sorgte der Fall Ostprignitz-Ruppin, weil er als Testlauf für eine mögliche Koalition nach der Landtagswahl 2019 angesehen wurde. Dabei hatte die LINKE dies verneint, und auch die CDU machte klar, dass sie sich eine solche Koalition im Landtag nur sehr schwer vorstellen könne.

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