Reisen ins »Paradies«

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die heilige Nino mit dem Weinrebenkreuz: Ihr Bild hängt fast in jeder Kirche Georgiens und auch in vielen Häusern. Wie oft hat es Volker Dietrich wohl auf seinen Reisen gesehen! Über viele Jahre - 1992, 1998, 2002, 2015, 2016, 2017 - hat er beobachtet, was sich in diesem Land am Rande Europas veränderte und was nicht. Wir werden noch viel über das Gastland der diesjährigen Frankfurter Buchmesse zu lesen bekommen. Mit Volker Dittrich ist man sozusagen schon einmal dort gewesen.

Reiseimpressionen - der Autor holt uns an seine Seite, erzählt uns von georgischer Geschichte und Gegenwart, aber mehr noch lässt er uns teilhaben an dem, was er im Moment gerade erlebt. Dieses Erleben ist detailreich und genau - bis zur Limonade, die er trinkt, bis zum T-Shirt, das eine Kellnerin gerade trägt. Man soll alles vor sich sehen und staunt, wie es der Autor mit allen Einzelheiten zu Papier bringen konnte.

Am Anfang stand eine Recherchereise über den Aufstand von georgischen Angehörigen der Wehrmacht auf der niederländischen Insel Texel. Dabei lernt er Gulia kennen, deren Vater einer der Anführer war. Wie freundlich er in ihrem Haus aufgenommen wird, damit beginnt es. Es wächst eine Herzensbindung, ein tieferes Interesse an diesem Land, von dem viele Deutsche kaum etwas wissen. Wer Genaueres über die politischen Verhältnisse dort, über wechselnde Regierungschefs, die Konflikte um Abchasien und Südossetien erfahren will, ist hier richtig. Volker Dittrich gibt nicht nur Gehörtes wieder, er vermag es auch, klug einzuordnen. Einerseits sagen ihm viele, dass es ihnen zu sowjetischen Zeiten besser ging, andererseits ist die Abgrenzung von Russland politischer Wille - in der Hoffnung auf europäisch-transatlantische Bindungen. Das Übliche in Osteuropa, aber niemandem wird in der heutigen Politik etwas geschenkt, zumal ohne Hintergedanken nicht. Georgien sei »ein strategisch günstig gelegenes Land«, zitiert Volker Ditt-rich von der Internetseite der HeidelbergCementGroup, die jährlich etwa 1,6 Millionen Tonnen Zement in Georgien produziert. Das hat Tradition. Nachdem 1877 in Tschiatura große Mengen an Manganerz entdeckt wurden, sind fast alle Bergwerke von deutschen Unternehmen betrieben worden.

Aber dies nur nebenbei. Das wichtigste für den Autor sind die Menschen, die er trifft und mit denen er ins Gespräch kommt, sind seine Beobachtungen in vielen Städten, sind die Fahrten und Wanderungen durch paradiesisch schöne Natur. Dabei versäumt er auch nicht, jene Legende wiederzugeben, wie die Georgier Gottes Herz eroberten und von ihm ein Paradies geschenkt bekamen, das er eigentlich sich selbst vorbehalten wollte. Man liest vom georgischen Alphabet, das als Weltkulturerbe anerkannt ist, von der nationalen Bedeutung der georgisch-orthodoxen Kirche, immer wieder auch von georgischen Künstlern, angefangen mit Rustaweli bis zur Gegenwartsliteratur von Aka Mortschiladse und Nino Haratischwili. Durch seine vielen Reisen ist Volker Dittrich zu einem profunden Georgien-Kenner geworden. Von seinem jüngsten Besuch im April 2018 werden wir sicher später noch lesen. Und Gulia hat ja inzwischen ihren Traum verwirklicht, in einem eigenen kleinen Hotel ausländische Touristen mit georgischer Gastfreundschaft zu bezaubern.

Volker Dittrich: Paradies am Rande Europas. Impressionen aus Georgien von 1992 bis 2017. Mitteldeutscher Verlag, 319 S., br., 18 €.

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