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  • Liberaldemokraten in England

Gehen Liberale in Brighton baden?

Partei profitiert von ihrem Widerstand gegen den Brexit kaum

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Eigentlich müsste Sir Vince Cables Partei in den Umfragen Traumzahlen aufweisen. 48 Prozent der Wähler haben 2016 gegen den Brexit gestimmt, die Liberalen sind die einzige nationale Gruppierung, die seitdem eine Zweitabstimmung mit anderem Ausgang fordert, also konsequent für den EU-Verbleib eintritt. Doch während Konservative und Labour an die 40 Prozent der Wähler hinter sich scharen, krebsen die Liberaldemokraten bei zehn. Warum?

Das britische Mehrheitswahlrecht diskriminiert kleine Parteien: Wer will seine Stimme verschenken, wenn er seinen Wunschkandidaten als chancenlos einschätzt? Zweifellos hat aber auch die Regierungsbeteiligung von 2010 bis 2015 als Juniorpartner unter David Camerons Konservativen Cables Partei nachhaltig geschadet. Als Wirtschaftsminister akzeptierte er alle sozialen Ungerechtigkeiten der gescheiterten Austeritätspolitik, brach alle Wahlversprechungen, Studiengebühren abzuschaffen, ja verdoppelte diese sogar.

Als Parteichef Tim Farron, ein engagierter Christ und Abtreibungsgegner, nach dem enttäuschenden Wahlergebnis von 2017 zurücktrat, blieb der 75-jährige studierte Volkswirt einziger Kandidat für den Vorsitz - schließlich hatte er am TV-Tanzwettbewerb »Strictly Come Dancing« einen flotten Foxtrott hingelegt, hatte somit nationales Profil.

Sonst aber blieben bei Cable Erfolge aus; er denkt an Rücktritt. Das Problem dabei: Die relativ unbekannte schottische Stellvertreterin Jo Swinson hat gerade ihr zweites Kind geboren, Sir Ed Davey wird seit seiner Zeit als Energieminister für verschlissen gehalten, Bildungssprecherin Layla Moran sitzt erst seit 2017 im Parlament. Da also weit und breit weder Nachfolgerin noch Nachfolger zu sehen sind, lädt Cable politisch unbeschriebene Blätter ein, bei den Liberalen zu hospitieren, ohne Mitgliedsbeiträge den nächsten Parteichef mitzuwählen oder sogar selbst ums Amt zu kandidieren. Willkommene Transparenz oder Mut der Verzweiflung?

Dabei bietet Noch-Vorsitzender Cable auf dem Wirtschafts- und Finanzgebiet interessante Vorschläge. In einem »Guardian«-Interview greift er das Thema sozialer Ungleichheit auf - die untere Hälfte der britischen Haushalte besitzt nur neun Prozent des Nationalvermögens. Die Schere zwischen Arm und Reich wird zugunsten der kleineren Gruppe immer größer. Nicht Steuerkürzungen in Trump-Manier seien also gefragt, sondern höhere Erbschaftssteuern für Reiche.

Rentensubventionen für Wohlhabende sollten verschwinden, ein jährlicher Gesamtbetrag von umgerechnet 16 Milliarden Euro eingespart werden. Dadurch sollten ein »Bürgervermögensfonds« sowie ein ehrgeiziges Programm des lebenslangen Lernens finanziert werden. Mehr Fairness, bessere Chancen für alle sollten dadurch entstehen.

Löbliche Absichten. Ob sie jedoch von einer Unterhausfraktion mit nur zwölf Mitgliedern durchzusetzen sind, bleibt fraglich. Kleinparteien müssen hierzulande das Recht erkämpfen, vom Publikum überhaupt gehört zu werden.

Cables »Bewegung der Gemäßigten« zwischen konservativen Brexit-Exremisten und linken Labour-Corbyn-Anhängern scheint hierzulande anders als Emmanuel Macrons La République en Marche in Frankreich nicht aktuell. Die von Cable beschworenen »Sozialdemokraten, fortschrittlich Gesinnten und Anhänger der Mitte« strömen seiner Partei voraussichtlich nicht zu. Britannien ist eine Monarchie und marschiert nicht.

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