Irgendwie, auf irgendwas geeinigt

Große Koalition will einen Kompromiss beim Streit um Diesel-Fahrzeuge gefunden haben

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Berlin. Für Diesel-Besitzer sollen neue Angebote kommen, um Fahrverbote in Städten mit zu schmutziger Luft abzuwenden. Das sieht ein Paket vor, auf das sich die Spitzen der Großen Koalition am Dienstagmorgen nach rund sechsstündigen Beratungen geeinigt haben. Laut SPD-Chefin Andrea Nahles gibt es auch eine Verständigung zu umstrittenen Hardware-Nachrüstungen für ältere Diesel. Dafür könnte nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur voraussichtlich zu einem kleineren Teil auch Steuergeld eingesetzt werden.

Details des »Konzepts für saubere Luft und die Sicherung der individuellen Mobilität in unseren Städten« sollen Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Dienstagmittag vorstellen. Auf die Frage, ob die Autoindustrie das Konzept mittrage, sagte Nahles: »Das werden wir sehen.« Sie sprach von einer ausgesprochen komplexen Einigung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erläuterte, das Paket enthalte mehrere Elemente, die parallel oder auch alternativ zur Verfügung stehen könnten.

Bei dem Treffen hatte es ein schwieriges Ringen um Lösungen für Besitzer alter Diesel gegeben, denen in mehreren Städten Fahrverbote drohen. Im Kern ging es in den Beratungen von Union und SPD um neue Kaufanreize der Autohersteller von mehreren Tausend Euro, damit mehr Besitzer ihre schmutzigen Diesel durch sauberere Wagen ersetzen. Dies hatte Scheuer als oberste Priorität bezeichnet.

Besonders kompliziert waren die Verhandlungen über Einbauten zusätzlicher Abgastechnik an Motoren. Darauf hatte vor allem die SPD gepocht, da sich viele Bürger auch mit Kaufprämien kein neues Auto leisten könnten. Dabei waren vor dem Treffen schwierige Fragen von Finanzierung und Haftung deutlich geworden. Die Bundesregierung machte Druck dafür, dass die Autobauer die vollen Kosten tragen. Offen war zunächst auch, wer eine Gewährleistung übernimmt und wann Hardware-Nachrüstungen umgesetzt werden können.

Die Verbraucherzentralen begrüßten es grundsätzlich, dass CDU, CSU und SPD sich auf ein Maßnahmenpaket geeinigt haben. »Wenn es für Autobesitzer kostenfreie Nachrüstungen mit Garantien und großzügige Rabatte beinhaltet, wäre das ein Schritt nach vorne«, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv), Klaus Müller.

Vor dem Treffen waren Stimmen aus der Opposition laut geworden, die Kosten nicht den Verbrauchern sondern den Automobilherstellern aufzulasten. Wer betrügt, müssse dafür gerade stehen, forderte die LINKEN-Politikerin Sahra Wagenknecht. »An einer Verpflichtung der Autokonzerne, die Umrüstungen zu bezahlen, führt kein Weg vorbei. Inzahlungnahmen können allenfalls zusätzlich sein.«

Deutschlands Kfz-Händler und Werkstätten warnten indes vor Umtauschprämien für ältere Modelle. Der Verband des deutschen Kraftfahrzeuggewerbes sehe als Folge von Tauschprämien eine Welle von gebrauchten Dieseln auf die Branche zurollen und fürchtete einen deutlichen Wertverlust der Autos, berichtete die »Welt«. »Das wird viele Kfz-Betriebe, die mit Gebrauchtwagen handeln, in Existenznot bringen«, sagte Verbandspräsident Jürgen Karpinski der Zeitung.

Bereits nach dem Dieselgipfel von Bund und Autobranche 2017 hatten die deutschen Hersteller Prämien von bis zu 10.000 Euro aufgelegt. Diese nahmen mehr als 200.000 Kunden in Anspruch, wie es im Juli hieß. Dieser Effekt reichte der Regierung aber nicht. Generell können Kunden beim Autokauf mit Rabatten von einigen Tausend Euro rechnen.

Hintergrund für die neuen Maßnahmen ist zu schmutzige Luft in vielen deutschen Städten. Diesel-Abgase sind ein Hauptverursacher dafür. Daher drohen Fahrverbote für ältere Diesel. In Hamburg sind schon zwei Straßenabschnitte für sie gesperrt. In Stuttgart ist 2019 ein großflächiges Einfahrverbot geplant. Kürzlich hatte ein Gericht auch Fahrverbote für die Innenstadt der Pendlermetropole Frankfurt am Main ab 2019 angeordnet. Die EU-Kommission macht ebenfalls Druck und will Deutschland per Klage beim Europäischen Gerichtshof zur Einhaltung der Grenzwerte zwingen, die schon seit 2010 verbindlich sind.

Offen war zunächst, in welchen Regionen neue Angebote zum Tragen kommen sollen. Im vergangenen Jahr überschritten laut Umweltbundesamt 65 Städte den Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO2) pro Kubikmeter Luft, nachdem es 2016 noch 90 waren. Im Fokus standen in den Beratungen 14 Städte mit mehr als 50 Mikrogramm. Für andere betroffene Städte wurden aber spezielle Lösungen angestrebt - unter anderem für Frankfurt. Agenturen/nd

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