Die Prager Postdemokratie

Ministerpräsident Babiš will das Land wie ein Unternehmen führen - die Linke kann daraus kein Kapital schlagen

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 4 Min.

Die gesellschaftliche Entwicklung in Tschechien entspricht dem globalen Trend: Die politische Linke in Gestalt der Sozialdemokraten (ČSSD) und der kommunistischen Partei Böhmen und Mährens (KSČM) verliert zunehmend an Bedeutung. Bei den letzten Parlamentswahlen 2017 verlor die KSČM sieben, die ČSSD sogar über 13 Prozentpunkte. Dem gegenüber steht der Erfolg nationalistischer und populistischer Bewegungen, wie der Partei Freiheit und direkte Demokratie (SPD) um Tomio Okamura und der rechtsliberalen Partei ANO um den Milliardär Andrej Babiš. Die Senats- und Kommunalwahlen bestätigen diese Entwicklung.

Babiš, Gründer, Financier und Vorsitzender der Partei, ließ sich durch den Wahlsieg auch noch zum Ministerpräsidenten wählen. Anders als die Regierungen in Ungarn und Polen verfolgt er jedoch kein sozial-konservatives Programm. »Babiš ist ein Gewinner der Transformation in Tschechien«, sagt die politische Analystin Veronika Sušová-Salminen im Gespräch mit »nd«. »Er kann sozial-konservative Inhalte bedienen, aber im Mittelpunkt seiner Politik steht der Kampf gegen Korruption und das Versprechen, den Staat wie ein Unternehmen zu führen.«

Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch prägte im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise den Begriff der »Post-Demokratie«. Darunter versteht er ein politisches System, in dem formal demokratische Institutionen (Parlament, Parteien) und Prozesse (Wahlen) fortexistieren, der Staat jedoch die Verantwortung für Sozialpolitik und das öffentliche Gemeinwohl privatisiert. Während Wirtschaftsverbände Einfluss und Macht gewinnen, werden Sozialverbände und Gewerkschaften systematisch geschwächt. Wahlen verlieren in einem solchen System an Bedeutung, da Parteien unabhängig der politischen Couleur an der neoliberalen Ausrichtung des Staates festhalten.

Tschechiens Ministerpräsident Babiš treibt die Erosion des demokratischen Systems gezielt voran. Aber anders als seine ungarischen und polnischen Amtskollegen steht er für die Radikalisierung des politischen Liberalismus. Die klassische Trennung in ein linkes und rechtes Lager hält er für überholt. Politik ist für ihn ein Mittel zur Problemlösung. Dementsprechend richtet Babiš seine Politik nach marketingstrategischen Gesichtspunkten aus. Seine Holding Agrofert umfasst nicht nur Unternehmen aus dem Agrar- und Chemiesektor, sondern auch große tschechische Medienportale. Um seine Beliebtheitswerte zu steigern, betreibt er gezielte anti-islamische Hetze oder wettert gegen Staat und System. Der Verdacht auf Steuerbetrug und Beeinflussung von Medien trug sogar zur Steigerung seiner Popularität bei, da er sein Image als vermeintlicher Außenseiter pflegen konnte. Im Gegensatz zu Polen und Ungarn sieht die Babiš-Regierung die Folgen der neoliberalen Transformation in Tschechien nicht als Problem. Die soziale Ungleichheit im Land bleibt so ein Randthema. Maßnahmen zur Erhöhung der Renten oder des Mindestlohns sind keine Wahlversprechen.

Der »Babiš-Faktor« begünstigt die fortschreitende Personalisierung der Politik. Im öffentlichen Diskurs spielen Parteien und deren Inhalte eine immer geringere Rolle. Stattdessen dominieren »starke Männer« wie Präsident Miloš Zeman, der Unternehmer und Rechtspopulist Tomio Okamura (SPD) oder eben Babiš den Diskurs. Dem entspricht die Tendenz, in Kommunalwahlen verstärkt unabhängige Kandidaten zu wählen. Im Jahr 2009 waren 49 Prozent der gewählten Vertreter Unabhängige oder lokale Wahlbündnisse, 2014 sogar knapp 53 Prozent. Die allgemeine Wahlbeteiligung liegt bei Kommunalwahlen deutlich unter 50 Prozent.

Ein wichtiger Grund für das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Parteien ist, dass drängende soziale Probleme kaum in den politischen Diskurs aufgenommen werden. »Die hohe Privatverschuldung, fehlende Sozialwohnungen und die einseitige ökonomische Ausrichtung Tschechiens auf Deutschland sind im Augenblick die drei zentralen Probleme der tschechischen Gesellschaft«, sagt Sušová-Salminen. Obwohl die Wirtschaft wächst - im letzten Jahr über vier Prozent - und die Staatsverschuldung im EU-Vergleich auf extrem niedrigem Niveau liegt (36 Prozent des BIP), profitiert ein großer Teil der Bevölkerung nicht von dieser Entwicklung. Wie in Deutschland lässt sich vielmehr eine Spaltung der Arbeiterschaft beobachten - auf der einen Seite die exportorientierte (Automobil-)Branche und auf der anderen Seite die Zulieferer, die deutlich niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen bieten.

Die politische Linke kann von dieser Entwicklung nicht profitieren. Und ob es hilfreich war, als Juniorpartner in die ANO-Regierung einzutreten (ČSSD) und das Minderheitskabinett zu tolerieren (KSČM), darf angesichts der Wahlergebnisse vom Wochenende bezweifelt werden. Wie fast alle ehemaligen osteuropäischen Staaten zeichnet sich die tschechische Gesellschaft seit den 1990er Jahren durch einen ausgeprägten Antikommunismus aus. Forderungen nach Steuererhöhungen für Unternehmer oder Reiche gelten da schon als erster Schritt der Verstaatlichung. »Zumal die kommunistische Partei an einer traditionellen Rhetorik und Symbolik festhält, die auf viele jüngere Wähler abstoßend wirkt«, so konstatiert Sušová-Salminen. Dadurch fördert sie die Zersplitterung der Linken. Nur ein Prozent der Generation zwischen 18 und 34 Jahren wählte 2017 die KSČM, vier Prozent die Sozialdemokraten. Die Mehrheit wählt rechts.

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