Bibelfundis sind die Bösen

Das E-Game Far Cry 5 greift Rassismus und rechte Aggressivität in den USA auf.

  • René Gralla
  • Lesedauer: 4 Min.

Unberührte Wälder und üppige Weiden. Klare Seen zwischen Hängen, die sich in sanftes Dunkelgrün hüllen. Über allem ein weiter Himmel: Montana, The Big Sky Country.

Doch plötzlich eine Art Erscheinung: Aus dem wogenden Meer der Baumkronen schraubt sich ein fahler Gigant in die Höhe. Ein surreales Standbild, das jeden Sky Tower locker toppt. Ein absurder Bruder vom Cristo Redentor in Rio de Janeiro - nur dass die in Stein gemeißelten Gesichtszüge nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Erlöser aufweisen.

Und das wäre auch ziemlich unpassend. Schließlich soll der monströse Kerl keineswegs den Heiland ehren, sondern einen gewissen Joseph Seed feiern. Der Letztgenannte ist ein irrer Gottesmann - und endlich verstehen wir, dass diese täuschend idyllische Landschaft bloß vordergründig an den realen US-Bundesstaat Montana erinnert. In Wahrheit hat uns das Intro eines Computerspiels in die virtuelle Welt des fiktiven Hope County katapultiert, irgendwo in einem per Rechner generierten Nordwesten des Kontinents.

Nach der Ausgangslage des Action-Adventure-Games Far Cry 5 haben dort eifernde Christen die Macht übernommen. Der radikale Kult nennt sich Project at Eden’s Gate, in Erwartung des angeblich nahen Jüngsten Gerichts. Die Fundamentalisten terrorisieren jene Mutigen, die sich Massenhysterie und Zwangstaufen verweigern. Und die Spieler müssen nun in der Rolle eines Deputy Sheriffs den Widerstand gegen Joseph Seed und dessen brutale Jünger organisieren. Damit Hope County tatsächlich wieder ein Platz der Hoffnung wird.

Vorher ist freilich robustes Handeln angesagt. Die Gamer schlagen und schießen sich durch das Territorium der gnadenlosen Frömmler, steuern am Schirm verschiedene Rettungsmissionen aus der Perspektive des Sektenjägers. Das ist eigentlich das Szenario eines unsentimentalen Shooters - und trotzdem unterscheidet sich Far Cry 5 grundlegend vom Rest des Genres. Nehmen wir das Paradebeispiel Counter-Strike: Global Offensive: In solchem Klassiker ballern Terroristen auf Elitesoldaten und umgekehrt. Das suggeriert eine Verwandtschaft zu angeblich omnipräsenten Selbstmordkriegern aus dem Nahen Osten. Far Cry 5 konterkarikiert derart stereotype Szenarien cool und provokant. Hier mutieren unvermutet hellhäutige Ultras zu den Bösen, die blind einem Prediger folgen, der sich auf die Bibel beruft.

Offenkundig greift die fünfte Edition der 2004 gestarteten Far Cry-Reihe jüngere Tendenzen in der US-Gesellschaft auf, insbesondere den steigenden Einfluss einer aggressiven Rechten, die von sich behauptet, christliche Werte und Kultur zu verteidigen.

Wenig überraschend, dass die reaktionäre Alt-Right-Bewegung prompt zu einem Boykott des Games aufgerufen hat: Es sei unerträglich, dass in Far Cry 5 reihenweise kaukasisch-stämmige amerikanische Menschen liquidiert würden. Obendrein verlangt eine unverhohlen rassistische Online-Initiative unter dem großmäuligen Pseudonym Gamers United vom Hersteller Ubisoft, das Drehbuch umzuschreiben: Statt weißer Christen sollten doch besser Islamisten die Schurken sein.

Konfrontiert mit solchen Anwürfen reagiert Ubisoft mit Sitz im französischen Montreuil gelassen. Und erinnert trocken an den dreijährigen Vorlauf bis zum Release des Spiels im März 2018: Als das Produktionsteam die ersten Entwürfe diskutiert habe, sei die aktuelle Entwicklung in den USA nicht vorhersehbar gewesen.

Allerdings hat Ubisofts Kreativdirektor Dan Hay anlässlich eines BBC-Interviews unlängst eingeräumt, dass Far Cry 5 unbestreitbar in einem gewissen Grad auf reale Ereignisse reagiere. Vor dem Hintergrund einer beunruhigenden Veränderung der Stimmungslage weltweit: Der frühere Konsens, einer globalen Community anzugehören, sei, so Hay, umgeschlagen in ein »Wir und die Anderen«. Dieser verstörende Befund habe das düstere Script inspiriert.

Getroffene Hunde bellen, die Faschos kläffen, weil’s ihnen wehtut - und das ist gut so. Nicht von ungefähr haben Fachpresse und Fangemeinde das Game überwiegend positiv kommentiert. Stattdessen gab es einen empörten Zwischenruf aus einer unerwarteten Ecke.

Ausgelöst haben ihn die gelegentlichen Angelpausen, zu denen Far Cry 5 die Gamer zwecks naturnahen Chillens ab und an animiert. Die prangerte die Tierschutzorganisation Peta an: Die »Jagd auf Fische« sei »unethisch und gewaltverherrlichend«. Dazu zitierten die Aktivisten die Meeresbiologin Tanja Breining: »Fische sind neugierige Wirbeltiere mit individuellen Persönlichkeiten.« Folgerichtig sei die Angelfunktion in Far Cry 5 »ein Armutszeugnis«.

Über den Protest der Tierschützer sollte Ubisoft vielleicht nachdenken. Abgesehen davon wollen die französischen Gamedesigner den jetzt eingeschlagenen Kurs halten, auch künftig politisch anzuecken. Indem elektronische Spiele zunehmend genauer die Wirklichkeit abbilden, »müssen wir in der Lage sein«, auch einschlägige Dinge zu thematisieren, die in »Fernsehen und Kino« zur Sprache kämen, erläuterte Ubisofts Kreativdirektor Dan Hay. Gleichzeitig legte er die Messlatte für die gesamte Branche höher: Die Spielindustrie müsse endlich »erwachsen werden«.

Weitere Infos: https://far-cry.ubisoft.com/game/de-de/home/

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