Die Macht der freien Entscheidung

In ihrem Weltbevölkerungsbericht drängt die UNO auf Anstrengungen zur Stärkung reproduktiver Rechte

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 3 Min.

In den 1950er Jahren bekam eine Frau durchschnittlich fünf Kinder. Heutzutage sind es weltweit höchstens 2,5 Kinder. Obwohl die Weltbevölkerung wächst - gegenwärtig leben etwa 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde - sinkt nach Angaben des Weltbevölkerungsberichts des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), der am Mittwoch veröffentlicht wurde, die Fertilitätsrate in fast allen Ländern.

Der Weltbevölkerungsbericht betont das Recht aller Paare und Individuen auf freie Entscheidung über Anzahl und Altersunterschied ihrer Kinder. Zugleich formuliert er Pflichten und Verantwortungen der Eltern wie zum Beispiel die Kinder finanziell versorgen zu können. Die Autoren verweisen zudem auf strukturelle Probleme, die für die Entwicklung der Fertilitätsrate entscheidend sind. Defizite in der Gesundheitsvorsorgung haben in vielen Ländern eine hohe Kindersterblichkeit zur Folge. Dies fördert wiederum eine hohe Geburtenrate, um diese Verluste auszugeichen. Die Autoren kritisieren die mangelhafte oder eingeschränkte Sexualaufklärung in den meisten Ländern. Auch rechtliche Hindernisse im Bereich der Empfängnisverhütung stellen ein Problem dar.

Außerdem gibt es eine Reihe von ökonomischen Faktoren, die den Autoren zufolge einer freien Entscheidung, Kinder zu bekommen, entgegensteht. Soziale Dienstleistungen wie Altenpflege und Kinderaufsicht sind in vielen Ländern schlichtweg zu teuer und müssen privat von der Großfamilie übernommen werden. Dabei verweist der Bericht auf große regionale und soziale Unterschiede.

Von weltweit 43 Regionen, in denen Frauen durchschnittlich mindestens vier Kinder bekommen, liegen 38 in Afrika - der Großteil südlich der Sahara. Nur in Afghanistan, Irak, Jemen, Palästina und Timor-Leste ist die Fertilitätsrate auf einem ähnlich hohen Niveau. Eine wesentliche Ursache für diese Entwicklung sieht der Bericht in der instabilen politischen und ökonomischen Lage in diesen Regionen. Viele Länder sind Konflikt- und Krisenherde oder sind es bis vor kurzem gewesen. Unter diesen Bedingungen ist der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung stark eingeschränkt, was eine geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen festigt. Frühverheiratung, die oft mit frühen Schwangerschaften einhergehen, sind ein Ausdruck davon. Aufgrund der anhaltend hohen Fertilitätsrate schätzt die UNFPA, dass bis zum Jahr 2050 die Hälfte des weltweit zu erwartenden Bevölkerungswachstums auf das subsaharische Afrika entfällt. Der Anteil Afrikas an der Weltbevölkerung würde von 17 Prozent im Jahr 2017 bis 2050 auf 26 Prozent zunehmen.

Eine zweite Gruppe bilden Länder aus Asien, Lateinamerika und der Karibik. Dort sind die Fertilitätsraten erst in den letzten Jahren auf etwa 1,7 bis 2,5 Geburten pro Frau gesunken. Speziell in Lateinamerika variieren die Fertilitätsraten stark zwischen Stadt und Land sowie sozialen Klassen. Die Zahl von Teenagerschwangerschaften ist in der Region besonders hoch.

Die weltweit niedrigste Fertilität weisen die Industrieländer Asiens, Europas und Nordamerikas auf, darunter auch Deutschland. Dort liegt sie unterhalb des Ersatzniveaus, also bei weniger als 2,1 Kindern pro Frau. Dies führen die Autoren auch auf das gestiegene Bildungsniveau zurück. Dies ermöglicht gerade Frauen, ins Berufsleben einzusteigen, bevor sie eine Familie gründen. Zudem verweist der Bericht auf finanzielle Zwänge wie zum Beispiel Wohnungsknappheit, hohe Arbeitsbelastung und eine mangelhaft und kostspielige Kinderbetreuung, was die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert. Neben einem Ausbau der Gesundheitsvorsorge und Aufklärung fordern die Autoren zur Stärkung der reproduktiven Rechte von der Politik mehr menschenwürdige Arbeitsplätze, erschwinglichen Wohnraum, leicht zugängliche Kinderbetreuung und eine Förderung der Geschlechtergleichheit. Über all diese Themen wird in Deutschland seit Jahren diskutiert. Passiert ist bisher noch zu wenig.

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