- Politik
- Chemnitz
Wo Rechte Merkel mit Hitler vergleichen
Kanzlerin war in Chemnitz für eine Bürgerdialog zu Gast / 1000 Rechtsextreme marschierten erneut in der Stadt auf
In Chemnitz konnten erneut über tausend Rechtsextreme beinahe ungestört demonstrieren – nur 50 Bürger hielten am Karl-Marx-Monument dagegen. Anlass der braunen Mobilisierung war ein Bürgerdialog mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) beim örtlichen Basketballverein.
Drei Monate nachdem ein junger Mensch erstochen wurde, nachdem tausende Rechtsextreme an mehreren Tagen teils marodierend durch die Stadt zogen, ist die Bundeskanzlerin zu Gast in Chemnitz. Ein früherer Besuch hätte aus ihrer Sicht noch mehr polarisieren können als es jetzt, Freitagnachmittag, der Fall ist, sagt sie. In den Monaten zuvor waren immer wieder Aufmärsche durch die Straßen gezogen, unter dem Banner der rechtsextremen Kleinstpartei »Pro Chemnitz« wurde ein toter Mensch gegen den ausdrücklichen Willen seiner Familie für Hetzreden instrumentalisiert.
Ein vergiftetes Angebot
Merkel wollte selbst sehen, was die Menschen in der Stadt bedrückt, Lösungen finden. Wer an dem Bürgerdialog teilhaben wollte, musste sich vorher anmelden, die Plätze waren begrenzt. Dass dabei, anders als von manchen Rechtsextremen prophezeit, keine politische Auswahl getroffen wurde, zeigte sich spätestens als ein Pro-Chemnitz-Aktivist im Saal lospolterte und seine Deutschlandfahne demonstrativ auspackte. Anschließend lud er die Kanzlerin ein, zur Demonstration nach draußen zu kommen – ein vergiftetes Angebot.
Wenig später stand der Rechtsextreme wieder auf der Straße bei seinen Kameraden, die seit dem späten Nachmittag lauthals protestierten und Parolen brüllten. Ein Liedtext ist bei ihnen besonders beliebt: »Sonst wird dich der Sachse holen mit dem Luftgewehr« – gemünzt auf die Kanzlerin, die man sich holen werde, sollte sie den Pro-Chemnitzern nicht das Land aushändigen.
Wegen solcher Gewaltaufrufe, aber auch wegen einer Bombendrohung gegen das Konzert der Punkband Feine Sahne Fischfilet in einem Chemnitzer Kulturzentrum am Vorabend, hatte die Polizei starke Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Zuletzt wurden in der Stadt zwei mutmaßliche Terrorgruppen ausgehoben, organisierte Rechtsextreme von denen drei aus der bereits 2007 verbotenen Kameradschaft Sturm 34 stammen. Auch an den Demonstrationen von Pro Chemnitz nahmen in der Vergangenheit mutmaßliche Rechtsterroristen teil. Martin Kohlmann, Anwalt und Leiter der Kleinstpartei, soll selbst enge Verbindungen in diese Kreise haben.
Mit Nazi-Ästhetik gegen die Kanzlerin
Knapp hundert, größtenteils zugereiste Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Neonazis hatten sich zusätzlich am Hauptbahnhof verabredet. Die Demonstranten nennen sich, in Anspielung auf die Hitlerjugend, Merkeljugend. Sie verstehen das selbst als Satire. Methode der Gruppe ist es, Merkel über die Ästhetik des NS-Regimes mit Adolf Hitler gleichzusetzen.
Ursprünglich wollte der Veranstalter T-Shirts austeilen, auf denen das Markenzeichen der Kanzlerin, eine Raute, und der Slogan »Geil Merkel« stehen sollten. Die Polizei beschlagnahmte die T-Shirts und prüft, ob der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt ist. Auf einer Armbinde, die an nationalsozialistische Hakenkreuz-Binden erinnerte, trug der Anmelder der Veranstaltung die Worte Sicherheits-Abteilung – auch das untersagte die Polizei. Früher war der Anmelder im neonazistischen Netzwerk »Blood and Honour« aktiv, das 2000 verboten wurde.
Ganz im Duktus der Verschwörungstheoretiker-Demonstranten vom Hauptbahnhof wurde doe Kanzlerin auch von Pro-Chemnitz-Rednern mehrfach mit Adolf Hitler verglichen. Auf deren Kundgebung gab man antisemitische Verschwörungstheorien zum Besten: Eine Teilnehmerin behauptete, die NSDAP sei eine linke Partei gewesen, jüdische Familien würden die Welt beherrschen und Angela Merkel sei die Marionette einer Weltverschwörung.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!