New York: Polizisten versuchen Mutter Baby zu entreißen

Polizeiforscher sagt, der Vorfall verfestigt Misstrauen gegenüber Polizei unter armen Schwarzen / Staatsanwältin: »Arm sein ist kein Verbrechen«

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 4 Min.

New York. Die New Yorker Polizei steht in der Kritik, weil Beamte eine junge Frau und ihr Baby aggressiv angegangen haben. In einem Video sind Polizisten zu sehen, die die am Boden liegende Mutter festnehmen wollen. Einer versucht, ihr das einjährige Baby zu entreißen. Die Frau ruft: »Sie verletzen meinen Sohn.« und: »Ich flehe Sie an.« Zudem ist ein Polizist zu sehen, der einen Elektroschocker in Richtung umstehender Beobachter schwenkt. Tausende Male wurde das Video des Vorfalls mittlerweile auf Facebook geteilt und von empörten Nutzern kommentiert.

Aufgenommen hatte das Video eine Augenzeugin in einer Sozialeinrichtung, in der Menschen mit geringem Einkommen unter anderem Lebensmittelmarken beantragen können. Weil keine Sitzplätze frei waren, hatte die 23-Jährige sich Berichten zufolge auf den Boden gesetzt. Nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem Sicherheitsbeamten hatte jemand die Polizei gerufen. Die Mutter wurde festgenommen. Ihr wird unter anderem Widerstand gegen die Polizei und schädigendes Verhalten gegenüber einem Kind vorgeworfen.

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Stadtrat-Sprecher Corey Johnson bezeichnete das Video auf »unzumutbar, erschreckend und herzzerreißend« und forderte Details zum genauen Hergang. »Dies war ihr bestmöglicher Plan? Keine Bedrohung für irgendwen, kein Notfall, einfach brutaler Missachtung des Wohlergehens von Mutter und Kind«, schrieb Alex Vitale, Professor am Brooklyn College in New York, auf Twitter. Der Vorfall würde das Misstrauen gegenüber der Polizei unter armen Schwarzen nur verfestigen.

Der Vorfall ist nur der Jüngste in einer Reihe von exzessiven Polizeieinsätzen in New York gegenüber Zivilisten und Unbewaffneten. Die meisten dieser Einsätze richten sich gegen Schwarze und Latinos. 2014 starb dabei ein unbewaffneter schwarzer Mann in einem Würgegriff der Polizei. Eric Garner hatte zuvor noch mehrmals gesagt: »Ich kann nicht atmen«. Dies wurde von den Beamten ignoriert.

Die New Yorker Polizei hat genaue Vorschriften zum Einsatz von Tasern. Nach Kritik an unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen wurden Deeskalationstrainings in die Ausbildung der Beamten aufgenommen. Auch der »Patrol Guide« des NYPD, der festlegt, wie Polizeikontrollen ablaufen, wurde verschärft und gibt den Polizisten nun weniger Freiraum und den Betroffenen mehr Rechte.

Die Polizeibehörde bedauerte den Vorfall. Man sei wegen »Belästigung« zur Hilfe gerufen worden. Die Sicherheitskräfte der Einrichtung hätten die Frau mehrfach zum Gehen aufgefordert. Das taten demnach auch die Polizisten. Als die Frau sich weigerte, wurde Gewalt angewandt. Die Frau wurde gegen ihren Widerstand in Gewahrsam genommen.

Die Polizei wirft ihr nun Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Gefährdung ihres Kindes, Behinderung von Regierungsaufgaben und Hausfriedensbruch vor. Sie ist nun im Gefängnis Rikers Island inhaftiert. Die involvierten Beamten gehen laut NYPD weiterhin normal ihrem Dienst nach, doch der Vorfall wird zusammen mit der Stadt untersucht.

Die Augenzeugin Nyashia Ferguson, die das Video des Vorfalls auf Facebook in Umlauf gebracht hatte, zeigte sich gegenüber der »New York Times« empört. »Sie sind immer unhöflich«, sagte sie über die Sicherheitsleute der Einrichtung. »Sie denken Arme haben nichts und deswegen kann man sie so behandeln«. Ihre Version der Ereignisse ist ganz anders, als die der Polizei. Die habe die Situation nur noch verschlimmert, habe Erklärungsversuche und das »Flehen« der Mutter ignoriert.

Die Hilfe des Sozialstaats in Anspruch zu nehmen erfordere »unglaubliche Geduld«. Das sei auch in diesem Fall nötig gewesen. Die Frau habe zwei Stunden auf dem Boden gesessen und gewartet, um Unterstützung für ihr Kind zu bekommen, so Ferguson. Der Raum sei voller gewesen als sonst. Sie hätte sich geweigert zu gehen, nachdem sie von Sicherheitsleuten der Einrichtung zum Gehen aufgefordert wurde. Die hätten die Frau verspottet und ausgelacht.

New Yorks neue Staatsanwältin, die schwarze Demokratin Laetitia James, reagierte empört auf den Vorfall. »Arm sein ist kein Verbrechen«, erklärte sie. Keine Mutter sollte die Demütigung und Erniedrigung erfahren müssen, die das Video zeige. mit dpa

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