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Verfahren gegen Prügel-Polizisten eingestellt

Beamte schlugen Ordner bewusstlos – Anwalt legt Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft ein

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Der massive Angriff Braunschweiger Polizisten vor einem Jahr auf Demonstranten in Göttingen bleibt nach dem Willen der Göttinger Staatsanwaltschaft ohne strafrechtliche Konsequenzen. Die Behörde stellte das Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt ein. Der Anwalt des Hauptbetroffenen gab am Freitag bekannt, dass er Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft eingelegt hat.

Rückblick: Am 9. Dezember 2017 protestieren in der Uni-Stadt mehr als 600 Menschen gegen zuvor erfolgte Razzien bei G20- Kritikern. Der damals 27-jährige Marian R., in dessen Elternhaus ebenfalls Handys und Computer beschlagnahmt wurden, ist bei der Demonstration als Ordner im Einsatz. In der Roten Straße, wo mehrere linke Wohngemeinschaften zu Hause sind, kommt es zu einer Konfrontation: Feuerwerkskörper werden gezündet, Polizisten sperren die Straße ab. R., der zuvor an Kooperationsgesprächen mit der Polizei teilgenommen hat, hält sich an der Spitze der Demonstration auf.

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Auf einem Video ist zu sehen, wie R. von Polizisten mehrere Schläge ins Gesicht bekommt und zu Boden geht. Er wird am Kopf im Würgegriff hinter die Polizeikette gezogen und auf den Boden fallen gelassen. Ein Beamter kniet auf seinem Nacken. R. ringt nach Luft. Seine Hände werden mit Kabelbindern auf dem Rücken fixiert. Polizisten schleifen ihn an den Armen über die Straße und legen ihn vor einem Polizeibus ab. R.s Mutter wird nicht zu dem Verletzten durchgelassen.

»Ich war definitiv nicht aufnahmefähig und die meiste Zeit weggetreten«, sagt der Betroffene später. »Ich konnte nur in kurzen Momenten die Augen aufmachen. Auch meine Hausärztin hat gesagt, das war ein bewusstloser Zustand.« Die Polizei hat den Vorfall noch am selben Abend so dargestellt: »In der Roten Straße wurden dann Beamte unvermittelt von einer größeren Gruppe Demonstranten von hinten angerannt und angegriffen. Im Zusammenhang mit diesem Geschehen konnte die Polizei einen der mutmaßlichen Angreifer ergreifen und überwältigen.«

2017-12-09 Auseinandersetzung der Demo nach Hausdurchsuchungen in Göttingen mit der Polizei

Mit dem Video konfrontiert, rudert Göttingens Polizeichef Uwe Lühring etwas zurück. »Das sieht in der ersten Einschätzung ziemlich hart aus«, sagt er. Da sei massiv Gewalt angewendet worden. Allerdings zeige das Video nur einen Ausschnitt der Szene.

Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam, der R. vertritt, zeigt die an der Prügelei beteiligten, namentlich nicht bekannten Beamten der Braunschweiger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) an. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahren verfügt. Sie erklärt, dass der Ordner keine bemerkenswerten Schläge mit einem Schlagstock erhalten habe und sich das Handeln der Beamten als Notwehr darstelle.

Für Adam lässt das Video »wenig Interpretationsspielraum«. Es zeige insbesondere einen Polizisten, der mit mehreren Tonfa-Schlägen auf die Demonstration, vor allem aber auch auf den Ordner einschlage. Während dieser kaum noch stehe, treffe ihn ein Faustschlag mitten im Gesicht, und er geht zu Boden. »Was hieran Notwehr sein soll erschließt sich mir nicht«, sagte Adam am Freitag. »Das ist brutale und unverhältnismäßige Gewalt.«

Ebenfalls straflos soll laut Staatsanwaltschaft das weitere Vorgehen der Polizei gegen R. Bleiben. »Auch diese Maßnahme soll laut Staatsanwaltschaft nicht übertrieben gewesen sein«, so Adam. »Das Video spricht allerdings auch hier für sich.«

Die Göttinger Bürgerrechtsorganisation »BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz« kritisiert die Einstellung des Verfahrens. Leider entspreche es der gängigen Praxis, Verfahren gegen Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt einzustellen. Problematisch an diesen Ermittlungen sei, dass sie polizeiintern geführt würden und Polizisten gegen Kollegen ermittelten. Dies zeige einmal mehr, wie wichtig die Forderung nach unabhängigen Ermittlungsstellen ist. »Wir hoffen dennoch, dass die Ermittlungen nach der Beschwerde gegen die Einstellung zeitnah wieder aufgenommen werden«, sagte ein Sprecherin der Initiative.

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