Karen-Minderheit in Myanmar: »Ich bin rund um die Uhr im Einsatz«

Nan Paw Gay betreibt ein Exilmedium für die in Myanmar unterdrückte Bevölkerungsgruppe der Karen

  • Interview: Robert Lenz
  • Lesedauer: 6 Min.
Asien – Karen-Minderheit in Myanmar: »Ich bin rund um die Uhr im Einsatz«

Es ist schwer, sich mit Ihnen zu verabreden. Durch Ihre vielen Aktivitäten und Posten sind sie immer sehr beschäftigt und viel unterwegs. Haben Sie überhaupt noch ein Privatleben?

Offen gesagt, nicht wirklich. Meine oberste Priorität ist meine Pflicht, für die Demokratie in Myanmar zu arbeiten. Ich bin rund um die Uhr im Einsatz. Ich denke, das ist meine Verantwortung für meine Heimat. Aber ich vergesse darüber nicht meine Familie und vor allem nicht meine beiden Kinder. Ich habe gerade einen Termin in Bangkok auch dazu genutzt, Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Sie studiert Grafikdesign. Wenn sie in der Uni ist, kann ich online arbeiten. Die Abende gehören dann uns. Mein Sohn ist noch hier in Maesot. Als Junge wuchs er bei meiner Mutter in Burma auf. Aber als er älter wurde, habe ich ihn nach Thailand geholt, damit er hier in Maesot eine Schule für birmanische Migranten besuchen konnte. Nach dem Abschluss der Highschool kann er nach thailändischem Recht die Staatsbürgerschaft beantragen.

Sie sind alleinerziehend?

Ja, vom Vater der Kinder bin ich geschieden. Ich bin wieder verheiratet, aber mein Mann ist nicht in Maesot, sondern kämpft auf der anderen Seite der Grenze in Kayin für die Revolution der Karen. Er ist Kommandeur einer Einheit der Karen National Liberation Army (bewaffneter Arm der Karen National Union). Wir sehen uns selten. Er tut seine Pflicht und ich die meine.

Interview

Nan Paw Gay ist eine Journalistin und Streiterin für Demokratie, Presse­frei­heit und Frauen­rechte vom Volk der Karen in Myan­mar, dem früheren Burma. Aufgewachsen in Hpa-an, der Haupt­stadt des Bundes­staates Kayin, lebt sie seit 2000 als Chef­redak­teurin des »Karen Infor­ma­tion Center« (KIC) im Exil in der thai­län­di­schen Stadt Maesot an der Grenze zu Kayin. In dem Zusammen­schluss ethni­scher Exil­medien »Burma News Inter­national« (BNI) spielt Nan Paw Gay eine führende Rolle.
Die Karen sind eine der großen ethnischen Minder­heiten in Myanmar, die seit Jahr­zehnten unter­drückt und verfolgt werden. Heute ist Kayin einer der Brenn­­punkte des bewaff­neten Kampfes gegen die Junta. Teile von Kayin sind unter der Kon­trolle der »revo­lu­tio­nären Kräfte« des Wider­stands.
In Maesot halten sich Zehn­tausende Karen auf, die vor poli­ti­scher Ver­fol­gung, vor dem Bürger­krieg und den Luft­angriffen der Junta geflohen sind. Sie alle leben besten­falls halb­legal in Maesot und sind oft der Will­kür der thai­län­di­schen Behör­den aus­gesetzt.

Was ist mit Ihren Eltern und Geschwistern? Sind sie auch in Maesot?

Mein Vater ist vor 20 Jahren gestorben. Ich habe einen jüngeren Bruder, der als Migrantenarbeiter in Bangkok lebt. Nach dem Putsch hatte ich meine Mutter nach Maesot geholt, aber sie war hier nicht glücklich. Nach zwei Jahren ist sie zurück in unser Dorf und will dort bleiben. Sie ist alleine, 77 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Vor Kurzem ist sie gestürzt und hat sich am Kopf verletzt. Jetzt kümmern sich Nachbarn um sie. Ich gehe manchmal über die Grenze in die befreiten Gebiete von Kayin, in denen die Generäle keine Macht haben. Aber meine Mutter zu besuchen, ist unmöglich. Das wäre für mich zu gefährlich. Ihr Wohnort wird vollständig vom Militär kontrolliert.

Wie steht Ihre Mutter zu Ihrer Arbeit und Ihrer Kritik an der Junta?

Sie weiß natürlich, was ich tue, ist aber nicht besonders glücklich darüber. Aber wir streiten uns deswegen auch nicht. Die ganze Situation im Land ist ihr bewusst, aber sie versteht nicht viel von Politik.

Sie haben Chemie studiert. Wie kommt man dann zum Journalismus?

Ich habe an einer staatlichen Uni in Burma studiert. Von dem, was in Kayin und anderen ethnischen Gebieten passierte, war dort keine Rede. Nach dem Studium jobbte ich zunächst in Thailand als Wanderarbeiterin. Nach dem Tod meines Vaters arbeitete ich in Yangon und verdiente Geld, um meine Mutter und meine Familie zu unterstützen. Ich tat also, was von mir erwartet wurde. In Yangon wohnte ich bei einem Freund meines Vaters, der im Untergrund für die Revolution aktiv war. Durch ihn habe ich erfahren, was wirklich im Land und an der Grenze zu Thailand los war. Ich wollte mehr wissen und bin ins Grenzgebiet von Kayin, wo ich in Kontakt mit der Widerstandsgruppe Karen National Union und dem »Karen Information Center« (KIC) kam. Weil ich mit Computern umgehen konnte, begann ich, Artikel zu tippen und belegte dann ein paar Schnellkurse in Journalismus. Meiner Mutter habe ich das damals aber nicht erzählt. Ich habe sie angelogen und gesagt, ich arbeite in Thailand. Der Rest ist Geschichte, wie man so sagt. Außer selbst als Herausgeberin, Redakteurin und Journalistin zu arbeiten, habe ich im Laufe der Jahre viele junge Karen zu Journalisten ausgebildet.

Was genau macht das KIC?

Ich habe im Laufe der Jahre als Chefredakteurin das KIC ausgebaut und modernisiert. Über verschiedene Kanäle wie Newsletter, Webseite, Social Media und Radio Karen Online bietet »Karen News« heute in den Sprachen Karen, Birmanisch und Englisch für die Karen in Myanmar und der Diaspora Informationen und Nachrichten über die Lage im Bundesstaat Kayin, in Myanmar im Allgemeinen und über die Probleme, die die Karen-Gemeinschaften betreffen. Mit Fotos, Videos und Multimedia dokumentieren wir zudem die Situation in den Karen-Gebieten. »Karen News« und viele andere der im »Burma News International« (BNI) zusammengeschlossenen Medien kämpfen aber seit Einstellung der Hilfe durch USAID um ihr Überleben. Wir suchen händeringend neue Geldgeber. Das hält mich auf Trab.

Das KIC hat Reporter und Bürgerjournalisten in Kayin. Wurden schon welche verhaftet oder getötet?

Seit dem Putsch wurde erst einer der leitenden Journalisten des KIC verhaftet und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Seine Frau und seine Tochter wurden von rund 100 Soldaten und Polizisten aus ihrem Haus vertrieben und der kleine Laden der Frau geschlossen. Wir haben eine Hilfsaktion gestartet, damit sie eine Wohnung mieten konnten. Das ist das übliche Vorgehen der Junta. Zur Einschüchterung von Gegnern geht sie immer wieder gegen deren Familien vor.

Sie sind ja selbst Journalistin, Aktivistin und Gegnerin der Junta. Wird auch Ihre Mutter deswegen von den Behörden überwacht und schikaniert?

Klar, deswegen mache ich mir auch Sorgen um sie. Ich gebe ja Interviews und bin Gast in Talkshows, bin also in der Öffentlichkeit. Aber bisher ist meine Mutter sicher.

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Treten Ihr Sohn und Ihre Tochter in die Fußstapfen der Mutter und engagieren sich für Menschenrechte, Freiheit und Demokratie in Myanmar?

Sie wissen natürlich, was ich tue, und wir sprechen darüber. Als sie jünger waren, habe ich sie oft auf meinen Reisen zu Veranstaltungen mitgenommen, auch nach Kayin, als das noch ging. Auch heute spreche ich mit ihnen immer wieder über die Situation hier in Maesot und auf der anderen Seite der Grenze. Aber sie sind nicht besonders engagiert. Sie sind zufrieden hier in Thailand.

Ihre Kinder sind also schon mehr Thai als Karen?

Ja, ich glaube schon. Das ist okay.

Glauben Sie, dass Kayin und ganz Myanmar jemals befreit werden und Sie wieder in Ihrer Heimat leben können?

Ich hoffe es. Ich bin dort geboren und würde deshalb gerne nach Hpa-an und in meine Heimat Burma zurückkehren. Selbst wenn meine Kinder hier glücklich sind und in Thailand bleiben, würde ich gern wieder dort leben.

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