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Ein Leben lang Klebebilder

»Hausheilige« Hannah Höch in der Berlinischen Galerie

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.
Im nächsten Jahr steht ihr 30. Todestag an, aber bereits jetzt schon gedenkt die Berlinische Galerie, selbst im Besitz einer umfangreichen Hannah-Höch-Kollektion und des Archivs der 1978 verstorbenen Künstlerin, dieser großen Avantgardistin des 20. Jahrhunderts. Die Galerie hat in den sieben Jahren ohne eigene Ausstellungsstätte Höch-Werke als Leihgaben in die Welt geschickt, sie hat die Dokumente aus dem Nachlass der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Jetzt kann sie, anknüpfend an die in den letzten Jahren geleisteten Forschungen, eine durch zahlreiche Leihgaben bereicherte, überzeugende Schau aller Werkphasen präsentieren. Hannah Höch war die einzige Frau unter den rebellierenden Berliner Dadaisten, die in der Nachkriegszeit - ab 1918 - ihre Umwelt mit Bildern und Aktionen provozierten. Das künstlerische Verfahrensprinzip der Collagistin und Fotomonteurin war der Schnitt, ihr Handwerkszeug die Schere. Sie zerschnitt, zerstörte und ordnete die Teile neu. Oft hat man dabei den Eindruck, es handle sich um gemalte Fotomontagen. Seit 1916 fertigte sie Puppen in grotesk-abstrakter Kostümierung an. In fotografischen Selbstdarstellungen steht sie Auge in Auge mit ihren Puppen. In der Puppe verkörperte sie ein schwereloses, heiteres und zerbrechliches Abbild ihrer selbst. Zugleich allegorisierte die Puppe für sie die verdinglichte Existenz des Menschen, im Speziellen der Frau. »Die Braut« (1924/27): Hier wird eine Kindsbraut mit aufgesetztem, ängstlich blickendem Puppenkopf an der Seite eines geschniegelten Lackaffen in eine konventionelle Ehe gezwungen und die sie umwirbelnden Symbole verheißen wenig Gutes. Die Realität war für Höch das Dickicht der Dingwelt, deren Entfesselung sie in ihren Montagen oft genug vergegenwärtigte. Nicht Dämonisierung, sondern Bannung durch Ironie war ihr Darstellungsziel. Die Collage »Dada-Rundschau« (1919) mutet wie eine in sich verschachtelte Polit-Groteske an, montiert aus Illustriertenfotos (Reichspräsident Ebert und Reichswehrminister Noske in der blümchenverzierten Badehose), Schlagzeilen und Reklameslogans. In der berühmten Fotomontage »Schnitt mit dem Küchenmesser durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands« (1919/20), die die Nationalgalerie aus restauratorischen Gründen nicht zur Verfügung stellen konnte, montierte sie das Chaos der Zeit als ein dadaistisches Kaleidoskop der Prominenz aus Krieg und Wirtschaft, Kunst, Wissenschaft und Sport. Rund 50 Personen erscheinen im Bild - als Kopf oder kopflos, die Köpfe versetzt oder die Körper vertauscht, jede Person verzerrt, entstellt, karikiert, verfremdet, verwandelt. Die spannungsreichen Kontraste zwischen Natur und Technik, organischer und mechanischer Form, Pflanze und Maschine, Mann und Frau, realer Außenwelt und Bewusstseinslandschaft bestimmen in den unterschiedlichsten Varianten die Bildsymbolik Höchs. In dem Gemälde »Roma« (1925) hat sie die Köpfe von Mussolini und der Schauspielerin Asta Nielsen auf die Körper von zwei Schwimmerinnen gesetzt, und gleich zwei Schattenarme des populären Stars des Stummfilms sind es, die den italienischen Faschistenführer aus Rom weisen, das er drei Jahre zuvor im Handstreich erst erobert hatte. Als Touristin in Rom hat sich Höch überdimensional in das Bild mit hineingenommen, sich über den Hinauswurf des Diktators amüsierend, der im wörtlichen Sinne »baden geht«. Das Konzept ihrer Dada-Montagen war vielfach geprägt von den Dingen - »Erinnerungsstücken von Geschehnissen, Freunden, Absonderlichkeiten, hübschen Einfällen, Handfertigkeiten« -, die Hannah Höch in ihrer Berliner Wohnung in einem Raritätenschrank aufbewahrte und die für sie eine kultische Bedeutung hatten. Sie spielen als Zitate eine bedeutende Rolle in ihren Arbeiten. Der falsche Maßstab nahm den Dingen ihre reale Bedeutung, ja spottete ihrer Gewichtigkeit. In diesen Miniaturen spiegelte sich die Künstlerin als Sammlerin und als Schöpferin wider, die sich die Welt montierend verfügbar machte. Viele der Montagen entsprangen den Tiefen ihres Nähkästchens und den Schnipseln ihres Schneidetisches bei Ullstein, wo sie als Entwurfszeichnerin in der Redaktion für Handarbeiten tätig war. Knöpfe waren Materialien, Schnittmusterbögen strukturierten mit ihren rhythmischen Linien die Montagen; Spitze und Tüll waren ironische Zitate bürgerlicher Mädchen-Träume von der Aussteuer, die sie zerschnitt und grotesk montierte. Ihre »Silhouetten-Porträts«, Schattenrisse, in denen das Positiv als Negativform erscheint, versinnbildlichen die Anwesenheit eines Menschen als Abwesenheit. Höch hat ihr Leben lang Klebebilder hergestellt. »New York«, eine Fotomontage aus dem Jahre 1922: Das Verwirrende dieser Stadt wird durch das Überkleben von Fotofragmenten unterschiedlichster Art sichtbar gemacht. In der NS-Zeit hat sie in tiefer Abgeschlossenheit gelebt. Die Diffamierung als »Kulturbolschewistin« kam einem Berufsverbot gleich. Bilder wie »Wilder Aufbruch« (1933), »Der Sturm« (1935), »Angst« (1936), »Resignation« (1938), »Trauernde Frauen« (1945) tragen sprechende Titel. In der Nachkriegszeit entstanden Arbeiten einer lyrischen Abstraktion und in den 60er Jahren, als ihre Wiederentdeckung durch die Kunstwelt weltweit einsetzte, ließ sie sich in ihren Klebebildern von Pop Art inspirieren. Fantasie, gepaart mit Intelligenz, Witz und Ironie, hierin liegt gerade die Faszination dieser großen Künstlerin der klassischen Moderne, deren Dada-Zeit heute in aller Munde ist, während ihr späteres Werk weithin unbekannt blieb oder vergessen wurde. Hier leistet die Ausstellung mit der Betonung ihres Gesamtschaffens einen wesentlichen Beitrag. Berlinische Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin-Kreuzberg, Alte Jakobstr. 124-128: Hannah Höch - Aller Anfang ist DADA! Bis 2. Juli, tägl. (außer Dienstag) 10-18 Uhr. Katalog.

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