Werbung

Vom Beamten zum Pizzaboten

Der »Shutdown« in den USA trifft Staatsangestellte und Wirtschaft.

  • John Dyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Tyler Fralia war verzweifelt, als er sich an die Spendenplattform GoFundMe wandte. Der Steuerprüfer für die US-Steuerbehörde Internal Revenue Service wusste nicht, wie er seine Rechnungen bezahlen sollte, nachdem am 22. Dezember der Regierungsstillstand in den USA begonnen hatte und die Mitarbeiter seiner Behörde nicht mehr bezahlt wurden. »Ich hatte erst vor Kurzem meine Ersparnisse aufgebraucht, weil ich platte Reifen an meinem Auto ersetzen musste und meine Frau seit Anfang November in unbezahltem Mutterschaftsurlaub ist - und wir bezahlen immer noch die Kosten für die Geburt unseres Sohnes ab«, sagt der Mann aus Utah.

Fralia ist jetzt einer von rund 700 zwangsweise beurlaubten Bundesangestellten, die sich, um über die Runden zu kommen, an GoFundMe gewandt haben - eine Website, die Spenden für bedürftige Menschen und andere Zwecke sammelt. Fralia hat fast 3000 Dollar (2600 Euro) oder drei Viertel dessen, was er dringend braucht, gesammelt. Jetzt denkt er darüber nach, einen Job als Pizzalieferant anzunehmen.

Stärkt unabhängigen linken Journalismus...

Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!

Insgesamt haben Bundesangestellte laut der gemeinnützigen Spendenplattform rund 50 000 US-Dollar gesammelt. Etwa 380 000 Bundesarbeiter sind seit Weihnachten zu Hause geblieben, weil sie von ihren Ministerien oder Behörden unbezahlt beurlaubt wurden. Weitere 420 000, zum Beispiel bei der Küstenwache, arbeiten ohne Bezahlung weiter, weil ihre Arbeit als sicherheitsrelevant gilt. Die betroffenen Regierungsmitarbeiter kündigen nun Zeitschriftenabonnements, zahlen die Rechnung für das Kabelfernsehen nicht mehr und reduzieren anderweitig Ausgaben, während sie Reserven anzapfen, Kreditkartenschulden anhäufen und Hilfe von Freunden, Familie und anderen suchen. Rund 40 Prozent der Regierungsmitarbeiter sind bei von privaten Subunternehmern angestellt - sie werden bei einer Haushaltseinigung entgangenes Gehalt nicht zurückgezahlt bekommen.

Weil Donald Trump weder von der bis Ende Dezember amtierenden republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus noch vom neuen, demokratisch dominierten »House« die Bereitstellung von 5,7 Milliarden Dollar aus dem US-Haushalt für den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko zugesichert bekam, sorgte er Ende Dezember für den mittlerweile längsten Regierungsstillstand in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Der mit 21 Tagen bisher längste »Shutdown« zum Jahreswechsel 1995/1996 wurde an diesem Samstag übertroffen. Für den US-Präsidenten ist die Grenzmauer eines seiner wichtigsten Wahlversprechen, deswegen hat Trump schon gedroht, der Stillstand könne »Monate oder Jahre« andauern. Am Mittwoch stellte Trump in seiner Fernsehansprache erneut einige Behauptungen über Migranten auf, die von Factcheckern als falsch bewertet wurden, und versuchte mit einer Aneinanderreihung von Einzelfällen - etwa von Einwanderern, die gewalttätige Verbrechen begingen - die Notwendigkeit einer Grenzmauer zu begründen. »Präsident Trump muss aufhören, das amerikanische Volk als Geisel zu halten, muss aufhören, eine Krise zu produzieren, und muss die Regierung wieder öffnen«, antwortete die Demokratin und Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi, ebenfalls live im Fernsehen.

Vor allem die Bundesarbeiter sind es, die als Geiseln gehalten werden, und sie werden nicht lange ohne Gehalt bleiben können. Fast 80 Prozent der amerikanischen Arbeiter leben laut der Website CareerBuilder von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck. Die US-Notenbank hat ermittelt, dass 40 Prozent der Amerikaner in einem Notfall keine 400 Dollar aufbringen können.

Auch Millionen Menschen, die nicht für die Regierung arbeiten, bekommen den »Shutdown« zu spüren, durch längere Schlangen an den Flughäfen etwa. Die Mitarbeiter der Transportation Security Administration (TSA), die Fluggäste kontrollieren und Gepäck scannen, müssen laut Gesetz unbezahlt weiterarbeiten. Am Freitag gingen 51 000 TSA-Mitarbeiter zum ersten Mal ohne den monatlichen Gehaltscheck nach Hause, schon jetzt melden sich mehr Kontrolleure krank als sonst, bald könnten es noch mehr sein. Die Amerikanische Förderation der Regierungsmitarbeiter (AFGE) verlangt in einer Klage, dass Regierungsangestellte wie die der TSA nicht gezwungen werden, ohne Bezahlung zu arbeiten. »Völlig inakzeptabel«, nennt AFGE-Präsident David Cox das.

Inakzeptabel findet den »Shutdown« auch die US-Handelskammer, weil der Stillstand schon jetzt auch Folgen für die Wirtschaft hat: Regierungsprüfer arbeiten nicht, Genehmigungen fehlen und etwa Förderanträge werden nicht bearbeitet. Jede Woche des »Shutdowns« bedeutet für die US-Wirtschaft einen Schaden in Höhe von 1,2 Milliarden Dollar, schätzt Donald Trumps Chefökonom Kevin Hassett. Einige Ökonomen befürchten, dass der Regierungsstillstand nach Jahren des Wirtschaftswachstums und rückgehender Arbeitslosigkeit den nächsten wirtschaftlichen Abschwung auslösen wird. Schon jetzt müssen auch arme Amerikaner bangen. Das Wohnungsministerium erneuerte die Mietverträge für 150 000 US-Haushalte mit einem Jahreseinkommen von nur 12 000 Dollar nicht. Ab März könnte die Ausgabe von Essensmarken an 42 Millionen arme Amerikaner ausbleiben.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal