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Fußballspielen schwer gemacht

Mit dem Amateurfußball-Kongress will der DFB seine Basisarbeit stärken

  • Frank Hellmann, Kassel
  • Lesedauer: 4 Min.

Christian Broßmann kennt sich aus mit Sorgen und Nöten im deutschen Fußball. Als Kleinfeldkoordinator und Jugendleiter beim F.C. Hertha 03 Zehlendorf ist »Kiki«, wie ihn alle nennen, für allein 56 Jugendmannschaften zuständig. Es würden noch viel mehr sein, wenn es im Berliner Süden mehr Spielflächen gäbe. »Wir könnten in den jüngeren Jahrgängen mit 14 Teams spielen, aber uns fehlen die Plätze«, sagt der 48-Jährige. Der wegen seiner exzellenten Talentförderung bundesweit bekannte Fußballverein mit seinen 2000 Mitglieder ist längst an Kapazitätsgrenzen gestoßen.

Um den Andrang zu kanalisieren, sind die »Hertha-Knöpfe« gegründet worden. Ein Auffangbecken, um Kindern wenigstens einmal die Woche ein dreiviertelstündiges Training zu ermöglichen. »Selbst dafür haben wir inzwischen eine Warteliste«, erzählt Broßmann. Er weiß, wie wichtig dieser Anlaufpunkt ist, zu dem mittlerweile schon Eltern aus Berlin-Mitte ihre Kinder fahren. Der Klub will das gar nicht. Aber in der Hauptstadt hat sich die Situation fast dramatisch verschärft: Es kann nicht mehr jeder Fußball spielen, der Fußball spielen will.

Der Schuh drückt so gewaltig, dass der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Reinhard Grindel, zuletzt wiederholt die 5000 in der Hauptstadt auf einen Vereinsbeitritt wartenden Kinder erwähnt hat, um zu hinterlegen: »Wir brauchen eine bessere Infrastruktur.« Im Zuge der Ausrichtung der EM 2024 will er Städte und Kommunen daran erinnern, mehr für den Sportstättenbau zu tun. Der Vereinsfußball spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen wider: Hier die Ballungsgebiete, die dem Bevölkerungsdruck und Flächenbedarf kaum gewachsen sind; dort die ländlichen Räume, in denen die schönsten Rasenplätze mitunter verlassen wirken, weil Dorfvereine nur noch mit Spielgemeinschaften über die Runden kommen. Nachwuchsprobleme sind an Geburtenzahlen abzulesen, so dass es schlicht zu wenige junge Kicker gibt.

Fernab des Glitzerbetriebs in Bundesliga, Champions League und der Nationalmannschaft berühren den Fußball vielfältige Probleme. Der DFB bekommt das mehr als jede andere Institution zu spüren, weil sich unter seinem Dach mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern alle Richtungen bündeln. Der 3. Amateurfußball-Kongress in Kassel soll nun an diesem Wochenende die Probleme benennen. 286 Teilnehmer sind seit Freitag aufgefordert, zu fünf Kernthemen - Vereinsfußball 2024, Rahmenbedingungen, Verbandsentwicklung, Qualifizierungsangebote und Digitalisierung - Erfahrungen und Empfehlungen vorzutragen, zu erörtern und zu sammeln. Und dann werden hoffentlich Lösungen beschlossen. Jeder Komplex wird ausführlich in Workshops in unterschiedlicher Zusammensetzung diskutiert. Zusätzlich sind noch Satellitenkongresse aus sieben Landesverbänden mit weiteren 163 Vertretern zugeschaltet, so dass insgesamt 180 Amateurvereine eine Stimme haben. Broßmann kritisiert gleichwohl: »Die Verbandsspitze ist von uns weit weg. Und ich argumentiere noch aus einer Luxussituation, weil ich hauptamtlich angestellt bin.« Was sollen erst die Ehrenamtlichen sagen, die Mitgliedsbeiträge eintreiben, Spielgenehmigungen beantragen und Eltern als Trainer ausbilden.

An der Basis zeichnen sich mannigfaltige Mängel ab: fehlende finanzielle Mittel und Entlastung, schlechter Zustand der Plätze, zu wenig Ehrenamtliche und Trainer, Zahlungen an Spieler schon in den unteren Spielklassen sowie ein Rückgang an Mannschaften und aktiven Fußballern und Fußballerinnen. Letzteren alarmierenden Fakt sieht der für die Amateure zuständige DFB-Vizepräsident Rainer Koch sogar als größte Herausforderung an. Ansonsten hofft er, dass der Kongress nicht nur »eine Bestandsaufnahme zur Lage des Amateurfußballs im Jahr 2019 liefert, sondern vor allem auch eine Aufbruchsstimmung verbreitet«. Und Koch mahnt: »Das veränderte Freizeitverhalten erfordert, unsere Sportart, die in den Zeiten von Turnvater Jahn entstand, neu aufzustellen.«

Denn es stellt sich ja auch die Frage: War das WM-Desaster der A-Nationalmannschaft vielleicht nur Vorbote einer Grundsatzproblematik? Weil Profis und Amateure wieder enger verzahnt werden müssen, sprechen Bundestrainer Joachim Löw und Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg am Sonntag auf einer Talkrunde. Aber wird mit diesem Bühnenbonbon für die Delegierten die gravierende Kluft zwischen denen wenigen da oben und jenen vielen da unten wirklich geschlossen? Veröffentlichungen im »Spiegel« unter anderem über großzügige Spesenabrechnungen leitender Angestellter haben den Eindruck wieder verstärkt: Die einen lassen sich auf Verbandskosten Wodka Belvedere schmecken, die anderen müssen mit der vom Mitspieler spendierten Kiste Bier auskommen. Gift für die Glaubwürdigkeit, wenn DFB-Kampagnen bezeugen wollen: »Unsere Amateure. Echte Profis.«

Während in der Vergangenheit regelmäßig außerordentliche Bundestage einberufen werden mussten, weil der Verband unruhige Zeiten erlebte - Stichwort WM-Skandal -, liegt die letzte Zusammenkunft der Amateure auf dieser Ebene sieben Jahre zurück. Damals wurde ebenfalls in Kassel der sogenannte Masterplan beschlossen, der auf den Säulen Entwicklung des Spielbetriebs, Kommunikation und Vereinsservice beruht. Die neuen Medien spielen seitdem tatsächlich eine größere Rolle, aber entbürokratisiert ist der Verband mitnichten. Ein Beispiel: Flüchtlinge können zwar ohne Pass nach Deutschland kommen, aber wenn sie Fußball spielen wollen, dauert es bisweilen Monate mit dem Spielerpass, weil beispielsweise erst noch in Syrien nachgefragt wird, ob dort noch einer liegt.

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