»Alles so gelassen«

Helmut Schmidts Haus bald öffentlich zugänglich

  • Stephanie Lettgen, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

In Helmut Schmidts Arbeitszimmer liegen auf dem Schreibtisch Bücher, grüne Filzstifte und eine Schatulle mit Zigaretten. Es wirkt fast so, als habe der 2015 gestorbene Altbundeskanzler den Platz gerade erst verlassen. Von 1961 an lebte der Sozialdemokrat Schmidt mit Ehefrau Loki in dem eher bescheidenen Haus im Hamburger Stadtteil Langenhorn. Hierhin lud er Politiker wie Valéry Giscard d’Estaing und Henry Kissinger ein. Das Haus wird entsprechend dem Testament unverändert als Gedächtnisort bewahrt. Nun öffnet die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung das Haus für Besuchergruppen. Am Freitag startet die erste öffentliche Führung.

Pro Monat stehen nur 24 Plätze zur Verfügung. Das Interesse ist groß: Binnen Minuten waren alle Plätze bis Ende Juni ausgebucht. Geführt werden die Besucher von Kunsthistorikerin Ina Hildburg-Schneider. Sie macht auf viele spannende Kleinigkeiten aufmerksam, die Eigenarten verraten. »Es ist alles so gelassen worden, wie es war«, berichtet die 35-Jährige und zeigt auf die Fensterbank des Arbeitszimmers. Ein Rasierapparat, Rasierwasser und ein Spiegel stehen dort - damit sich Helmut Schmidt noch mal schnell frisch machen konnte, wenn Besuch kam. Auch Kerzen finden sich auf dem Holzschreibtisch, im Bücherregal steht eine alte Taschenlampe. »Es hätte ja einen Stromausfall geben können.«

Ein Geschichtsstudent hat 6000 Gegenstände aus dem Haus inventarisiert und eine Datenbank angelegt. Auffallend ist die große Kunstsammlung der Schmidts, die Bilder hängen bis unter die Decke - darunter ein Porträt des Hitler-Attentäters Claus Schenk Graf von Stauffenberg sowie Werke von Marc Chagall oder Otto Dix. Die Schmidts hatten sich als Kinder auf der Lichtwarkschule kennengelernt, einer Reformschule. »Das hat die beiden ein Leben lang geprägt, dort haben sie ihre Kunstsinnigkeit bekommen«, sagt Hildburg-Schneider.

Schmidts 2010 gestorbene Ehefrau Loki unterstützte ihren Mann politisch und engagierte sich als Naturschützerin. Das Paar war fast 70 Jahre verheiratet. Immer griffbereit waren Zigaretten - überall im Haus. Gemeinsames Hobby war das Schachspiel. Brett und Figuren sind nach wie vor zu sehen.

»Bitte nicht berühren« steht auf dem schwarzen Flügel, auf dem der Altkanzler gerne spielte. Daneben am Fenster liegt noch Lokis Gartenschere. Nach einer halben Stunde Führung können die Besucher von dieser Stelle aus noch einen Blick in das Wohnzimmer mit den roten Sofas und den zahlreichen Bücherregalen werfen - doch weiter geht es nicht für sie. Die Hausbar »Ottis Bar«, benannt nach Schmidts langjährigem Personenschützer Ernst-Otto Heuer, die Küche oder die Schlafzimmer dürfen sie nicht betreten.

Die Besuchergruppen sollen nach Angaben der Stiftung klein bleiben. Die Besucher werden von einem Sicherheitsmitarbeiter begleitet. »Die Sorge, dass nicht alles an seinem Platz bleibt, ist groß«, sagt Sprecher Ulfert Kaphengst. Alle, die noch keine Tickets ergattern konnten, bekommen am 23. Mai eine neue Chance. Dann können über die Internetseite www.helmut-schmidt.de Führungen für das dritte Quartal gebucht werden. Ab dem 23. August werden die Termine für das vierte Quartal freigeschaltet. dpa/nd

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