Hola, ¿qué tal?

Beim Sprachkurs in Sevilla lernen ältere Menschen, Tapas auf Spanisch zu bestellen

  • Rasso Knoller
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn morgens um Viertel nach neun die Schulglocke klingelt, kommt für kurze Zeit das flaue Gefühl im Magen zurück – die Erinnerungen an eine nicht immer glückliche Schulzeit stellen sich wieder ein.

Doch in Sevilla ist alles anders. Hier wartet nicht die strenge Mathematiklehrerin im Klassenzimmer. Hier empfängt uns der dauergutgelaunte Juanma, der zum Unterricht immer mit Baskenmütze erscheint. Juanma ist unser Lehrer, der mir und Peter aus Vancouver, Tuula und Jussi aus Finnland, Michael aus Würzburg, Kurt aus der Schweiz und Akemi aus Japan Spanisch beibringen soll.

Der eine will, bevor er eine längere Spanienreise beginnt, die Sprache des Landes lernen, die anderen haben ein Ferienhaus, und die japanische Professorin ist ohnehin riesiger Spanien-Fan. Sie spricht Spanisch schon ganz ordentlich; weil ihr das rollende »R« der Españoles aber schwerfällt, ist sie genauso schwer zu verstehen wie wir anderen. Unsere Gruppe zählt nur sieben Leute, doch das ist eher die Regel als die Ausnahme. »Es sind nie mehr als zwölf Leute in einer Klasse«, sagt Eva White, die stellvertretende Schulleiterin.

Die Motivation, Spanisch zu lernen, ist bei jedem eine andere, gemeinsam ist allen Schülern aber, dass sie schon etwas älter sind. »Ü50« nennt sich der Kurs, für den wir uns eingeschrieben haben. Vermutlich geht es bei uns im Klassenzimmer deswegen etwas entspannter zu als in den Nebenräumen. Dort lernen die Jungen, deren Pensum ein wenig umfangreicher als bei uns. Wir, die Alten, sind die Exoten im Sprach- und Kulturzentrum Clic im Herzen Sevillas. Während Kurse für Schüler und Studenten rund ums Jahr stattfinden, bietet man Kurse für »ältere Spanienfans« nur achtmal im Jahr an.

Wie früher mache ich die Hausaufgaben kurz vor Unterrichtsbeginn, hier ist meine Ausrede aber besser als zu Schulzeiten. Es gibt einfach zu viel zu sehen in Sevilla. Die Kathedrale Maria de la Sedem mit ihrem 97 Meter hohen viereckigen Glockenturm, das Indienarchiv in der ehemaligen Börse und der maurische Palast Alcázar gehören allesamt zum Weltkulturerbe. Den meisten Besuchern ist das aber egal. Sie kennen die Gärten des Palastes als Wassergärten von Dorne aus »Game of Thrones« und sind hier, um Selfies genau an der Stelle zu schießen, die sie in der Serie gesehen haben. Den meisten Besuchern geht es wie Nell Tiger Free, der Schauspielerin, die in »Game of Thrones« Myrcella Baratheon gespielt hat. Sie wird mit den Worten zitiert: »Als ich Alcázar zum ersten Mal betrat, blieb mir die Luft weg, so beeindruckend ist die Anlage.«

Weil man eine Sprache ja ohnehin im Alltag am besten vertieft, probiere ich das Gelernte allabendlich in einer der vielen Kneipen der Stadt aus. Rotwein, den Vino Tinto, kann ich schon am ersten Abend fehlerfrei ordern. Bei den Tapas, den für Spanien so typischen kleinen Leckereien, die, so jedenfalls behaupten die Sevillanos, hier in der Stadt erfunden wurden, helfe ich mir zunächst noch mit einem Fingerzeig und einem Lächeln.

Wer sein Sprachstudium in die Kneipen verlegt, hat es leicht in Sevilla. Gefühlt gibt es nirgends so viele Restaurants, Cafés und Bars pro Quadratmeter wie hier. Das verwundert nicht, ist man in Sevilla doch zu Recht auch auf die größte Altstadt Spaniens stolz. Nur ein paar Meter von der Schule entfernt liegt das »Barbiana«, die Stammkneipe der Stierkämpfer. Die Fotos an den Wänden erinnern an die bekanntesten von ihnen und ihre besten Kämpfe. Meine größte Herausforderung sind aber keine Stiere, sondern der Barkeeper hinter dem Tresen. Er herrscht mit eisiger Strenge über sein Revier. Bestellungen von Touristen serviert er wortlos, mit reglosem Gesicht.

Am letzten Tag, als ich Alcachofas fritas, gebratene Artischocken, auf Spanisch bestelle, schiebt er mir meinen Tapasteller mit einem knurrigen »Aqui tiene« hin, und wenn ich mich nicht täusche, hat sich auf seinem Gesicht für Sekundenbruchteile sogar der Anflug eines Lächelns gezeigt. Mein Sprachkurs beschert erste Erfolgserlebnisse. Zumindest ein bisschen gehöre ich jetzt auch dazu.

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