Die Herren an der Katjuscha

Velten Schäfer kommt eine spontane Fähnrichsmutmaßung

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 2 Min.

Ist die Bundeswehr in Wirklichkeit eine »Schwarze Reichswehr« 2.0, im Kern stets darauf erpicht, die parlamentarische Kontrolle abzuschütteln? Ist die Polizei im Grunde eine Ansammlung rechtsradikaler Trolle, gegründet um sensible Daten exponierter Linker an Nazis weiterzureichen oder Immigrierte einzuschüchtern, quasi im Stil der Weimarer »Sipo«? Ist schließlich der Verfassungsschutz unter dem Strich nichts anderes als eine Organisation zur Vertuschung rechtsradikalen Terrors?

Bei aller stets notwendigen Kritik an all diesen Sicherheitsorganen: Niemand behauptet das ernstlich, auch wenn im politischen Raum zuweilen eine pointierte Sprache vorherrscht. Das Spiel läuft vielmehr gerade andersherum: Es ist so, dass ziemlich viele - und ziemlich mächtige - Leute in diesem Lande ganz routinemäßig die Behauptung von sich geben, dass andere eben dies alles behaupteten.

Man kennt den Mechanismus: Kaum fallen etwa im Umfeld der beiden erstgenannten Apparate »Prepper« auf, die Waffen horten und Feindeslisten anlegen, kaum wird deutlich, dass es in Hessen offenbar miteinander in Kontakt stehende Polizeibeamte gibt, die eine engagierte türkischstämmige Anwältin mit »Heil-Hitler-« und »NSU 2.0«-Faxen attackieren, kaum stellt sich nach diesem oder jenem Terrorakt einmal mehr die Frage nach seltsamen Aktenschwunden oder 120-Jahres-Verschlussfristen, orgeln diese Leute los wie einst die Katjuscha an der Ostfront: »Jetzt bloß nicht in einen ›Generalverdacht‹ verfallen!« Das wäre »brandgefährlich für die Demokratie«!

Schon klar, die Katjuscha war eine Rotarmistenwaffe. Doch passt das Bild trotzdem hervorragend: Rüstet sich, wer die Demokratiebesorgten als deren wahre Gefährder beschießt, nicht gleichfalls mit einer fremden Waffengattung? Und besteht nicht, ganz wie bei Katjuschas Geschossen, der Schrecken dieses Antiarguments weder in der Reichweite noch in der Durchschlagskraft - sondern in der schlicht enormen Feuerfrequenz, in Kombination mit dem kopfzerreißenden Geheul, das die Einzelraketen im Flug verursachten?

Insofern ist der »Generalverdacht« ein funktionales Äquivalent der Stalinorgel - in der epischen Schlacht um die »Einzeltäterthese«. Wie in den Gefechten des Weltkriegs findet die Seite, die von Fallhäufungen auf problematische »Strukturen« zu schließen rät, kaum in sichere Stellungen, bevor die Salve niedergeht. Fragt sich nur, wer die Apparate an Stalins Liebling geschult hat. Womöglich waren es gerade diejenigen Generäle, die schon für Hitlers Abwehr immer so gerne Katjuschas entführt hätten - und ihre Dienste dann in Bonn und Pullach fortsetzten. Aber das ist natürlich bloß eine spontane Fähnrichsmutmaßung.

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