Teilsieg für Michael Moos

Freiburger Rechtsanwalt 40 Jahre lang vom Verfassungsschutz überwacht und bespitzelt

  • Dirk Farke, Freiburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Michael Moos hat sich immer schon politisch engagiert. Ende der 1960er Jahre, als 20-jähriger Jurastudent, im Sozialistischen Deutschen Studentenbund und später im Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW). In den 70er Jahren erhielten Angeklagte, die sich als Unterstützer der RAF vor Gericht verantworten mussten, von Moos anwaltlichen Beistand. Zu Beginn der 80er verteidigte er Freiburger Hausbesetzer und Demonstranten, die sich gegen den Abriss von gerade noch bezahlbarem Wohnraum einsetzen. 1999 wählten die Freiburger Moos für die Linke Liste in den Gemeinderat und in eben dieser Funktion rief er 2002 zum Widerstand gegen eine geplante NPD-Demonstration auf. In der Zeit war auch ein DKP-Mitglied Gemeinderat der Linken Liste und intuitiv witterten die Spürhunde des Verfassungsschutzes eine staatsgefährdende kommunistische Infiltration bei sämtlichen Freiburger Gemeinderäten der Liste.

In die Schublade »Linksextremismus« eingeordnet, wurde der engagierte Strafrechtler so einem 40-jährigen lückenlosen, exzessiven Überwachungsprogramm unterzogen. Der Betroffene selbst bewertet diesen Vorgang so: »766 Seiten umfasst meine Akte beim Verfassungsschutz. Viele der erhobenen Daten beziehen sich auf meine Tätigkeit als Strafverteidiger und meine kritischen Positionen in öffentlichen Veranstaltungen zu polizeistaatlichen Entwicklungen. Es ist ein Unding, dass der Verfassungsschutz mich 40 Jahre überwacht hat und noch dazu meine kommunalpolitische Tätigkeit.«

Genau so sieht dies auch sein Anwaltskollege und Vorsitzender der Humanistischen Union, Landesverband Baden-Württemberg, Dr. Udo Kauß. Gemeinsam klagten sie vor dem zuständigen Verwaltungsgericht in Stuttgart zunächst auf Aushändigung der Akten. »Daten aus vier Jahrzehnten hat der Verfassungsschutz über einen Bürger gesammelt, der nichts anderes getan hat, als von seinen Grundrechten Gebrauch zu machen, der sich immer gegen die Anwendung von Gewalt in der politischen Auseinandersetzung ausgesprochen hat. Wer schützt uns vor dem Verfassungsschutz?«, fragt der engagierte Bürgerrechtler.

Als nach zehnjährigem juristischen Ringen der Verfassungsschutz Moos endlich seine Akten aushändigte, waren diese umfangreich geschwärzt. Die vorgeblichen Gründe hierfür, so Kauß: Geheimnisschutz, Verhinderung der Ausforschung des Verfassungsschutzes und so weiter. Trotz der Schwärzungen kam heraus: Der Verfassungsschutz hatte im Oktober 2002 schon einmal Daten über Moos gelöscht, weil er eine weitere Speicherung nicht mehr für erforderlich hielt. Ein halbes Jahr später ordnete eine übergeordnete Stelle an, die Löschung rückgängig zu machen und alle bereits gelöschten Daten wieder herzustellen. In monatelanger Arbeit wurden die - angeblich aus Versehen - gelöschten Jahrzehnte alten Daten wieder aus verschiedenen Quellen rekonstruiert.

Eine dann vor zwei Jahren vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht erhobene Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der mehr als 40-jährigen Überwachung und Bespitzelung verhandelte die 1. Kammer vorigen Donnerstag (1K 493/17). Bereits einen Tag später erhielt Kauß den aus nur vier Sätzen bestehenden Tenor des Urteils. Die ausführliche schriftliche Begründung soll in zwei bis drei Wochen folgen. Danach hat die Behörde 15 Verteidigerbesuche in Stuttgart-Stammheim in den Jahren 1982/83 bei einem inhaftierten Mandanten rechtswidrig erfasst und gespeichert. Die im Beobachtungsfeld »Linksextremismus« erhobenen Daten hättem nicht länger als bis zum 31.12.1998 beziehungsweise dem 31.12.2000 gespeichert werden dürfen. Die darüber hinausgehende Archivierung bis zum 7. Februar 2013 war rechtswidrig. Der Verfassungsschutz hat die Prozesskosten zu zwei Dritteln zu übernehmen.

In einer ersten Stellungnahme bewertet Moos gegenüber »nd« die Feststellungsklage als »überwiegenden Erfolg«, vor allem auch weil die Kammer die Bespitzelung seiner Verteidigerbesuche in Stammheim und sein ehrenamtliches kommunalpolitisches Engagement als eindeutig rechtswidrig festgestellt hat. »Die Juristen können aber immer nur einen Einzelfall entscheiden und deshalb, so Moos, wird es höchste Zeit, dass die Politik dieser rechts- und verfassungswidrigen Überwachungspraxis endlich einen Riegel vorschiebt, damit sich das Landesamt wieder auf seine eigentliche Tätigkeit, den Schutz unserer Verfassung, konzentrieren kann.«

Etwas weniger optimistisch bewertet sein Rechtsvertreter gegenüber »nd« den Ausgang des Verfahrens. »Nicht zufrieden sind wir damit, dass das Gericht die Beobachtung und Speicherung von Daten über RA Moos für die Zeit von 1978 bis 1998 beziehungsweise 2000 für rechtmäßig angesehen hat.« Das Gericht habe offensichtlich die Erhebung und Speicherung von Daten für zulässig gehalten, wenn Moos sich im Umkreis einer vom Verfassungsschutz beobachteten und von dieser Institution als linksextremistisch eingestuften Organisation bewegte. »Es kam also überhaupt nicht darauf an, dass RA Moos selbst keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgte. Es reichte schon, wenn er als Referent auf einer Veranstaltung, zum Beispiel bei der Roten Hilfe, aufgetreten ist. Das ist eine Art Kontaktschuld«, bewertet Kauß diese Vorgehensweise. Man werde jetzt abwarten, wie das Gericht die von ihm vorgenommenen zeitlichen Zäsuren begründet und dann werde entschieden, ob man in Berufung gehe. Am Rande der Verhandlung in Stuttgart wurde bekannt, dass Moos bisher der einzige Betroffene in Baden-Württemberg ist, der sich juristisch gegen die lückenlose, exzessive Überwachung über Jahrzehnte wehrte.

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