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Der Supermardi

Über dem Dachboden muss die Freiheit grenzenlos sein - eine moderne Jagdgeschichte aus Hamburg

  • Fritz Tietz
  • Lesedauer: 7 Min.

Eine verwesende Maus beginnt so unmerklich zu riechen, dass man zunächst glaubt, es ist der Nachhall des gestrigen Grünkohlessens oder sonst ein übler Afterfoodduft. Bald jedoch nimmt der Modergeruch derart stechend zu, dass auch noch so häufiges Stoßlüften nichts mehr nützt und schließlich kein Zweifel bleibt: Es hat mal wieder ein Mäuschen die unzugängliche Zwischendecke unseres alten Bauernhauses zu seinem Sterbeort erkoren. Und wir werden nun, je nach Kadavergröße, drei bis fünf Tage lang das Vergnügen haben.

Im vergangenen Jahr hingegen blieben wir von Mausetotgerüchen vollends verschont. Dank unseres Mardis, schätzungsweise. Ein Steinmarder, der seit letztem Winter sein gelegentliches Quartier auf unserem Dachboden bezog. Man hörte ihn meist am frühen Morgen über uns rumpeln, trappeln und kratzen, und wir stiegen später zum nur sehr beschwerlich zu bekriechenden Kriechboden rauf, um dort nach eventuellen Rumpel-, Trappel- oder Kratzfolgeschäden zu sehen. Und die steinmardertypische Losung - einen mit Fruchtkernen durchsetzten, festen, schwarzen Scheiß - einzusammeln. Mehrere Kilo dürften das übers Jahr gewesen sein.

Dazu kamen noch einige sauber abgenagte Taubentorsi und etliche restlos ausgeschleckte Eierschalen. Unsere Katze übrigens, die sonst gerne auf dem Kriechboden herumstromerte, fegte jetzt immer mit buschigem Schwanz in ihr sonst nur an Silvester frequentiertes Spezialversteck unterm Gästebett, sobald wir die Leiter zum Boden auch nur ausklappten. Gab es bei ihrem letzten Streifzug dort oben eine Mardi-Begegnung? Oder war es bloß die Witterung seines Odeurs, das sie fortan in die Flucht schlug?

Obwohl er bis dahin kein ärgeres Unheil angerichtet hatte, beschlossen wir irgendwann, den Marder einzufangen. Das Geschiebe, Gedöngel und Gekrotze morgens nervte auf Dauer. Auch befürchteten wir, dass er vielleicht eines Tages eine Familie gründen und ihr unseren Dachboden als Hauptwohnsitz vorführen könnte. Und wie bös das enden kann, hatten wir im Internet gesehen: ebenso beeindruckende wie bedrückende Fotos von zerfetzten Stromleitungen und Glaswollebahnen, ekelhaft zugeschissenen Dachbalken und madendurchsetzten Resten halb verspeister Beutetiere.

Die in Honig gewälzten Rosinen, die wir zunächst rund um die erst mal unscharfe Marderlebendfalle auslegten, um sein instinktives Misstrauen gegen diese aufzuweichen, hatte der Mardi an zwei Tagen hintereinander vollständig verputzt. Ebenso die beiden am Falleneingang positionierten Hühnereier; weiß müssen die übrigens sein, braune erkennt ein Mardertier angeblich nicht. Aber finde mal einen Laden, der weiße Eier führt. In die schließlich weißeiig und mit Honigrosinen beköderte und scharf gestellte Falle getappt ist er trotzdem nicht. Er war auch plötzlich überhaupt nicht mehr zu hören.

Also haben wir die Marderlebendfalle irgendwann wieder entschärft. Zu sehr nervten die täglichen Kon᠆trollen. Die natürlich sein müssen, damit der Marder, sofern er einem endlich in die mit Trittwippe und Falltüren heimtückisch ausgestattete Holzkiste geht, darin nicht elendig verdurstet. Und dann musste man ja auch jederzeit bereit und in der Lage sein, das gefangene Tier möglichst schnell und möglichst weit fortzuschaffen. Nicht unter 15 Kilometer von seiner bisherigen Wirkungsstätte entfernt soll man einen genappten Marder wieder aussetzen, so raten es die einschlägigen Ratgeberseiten. Noch besser wäre alles über 30 Kilometer. Und wenn noch ein möglichst breiter Fluss zwischen seinem bisherigen und dem neuen Lebensraum sei, fände ein Marder den Weg garantiert nicht mehr zurück. Was in unserem Fall - wir leben im südlichen Speckgürtel Hamburgs - bedeutete: So wir ihn erst mal geschnappt hatten, wollten wir mit dem Mardi im Kofferraum auf kürzestem Weg über die A7 durch den Elbtunnel zum wirklich schön und malerisch gelegenen Hamburger Jenischpark düsen. Der uns als neues Jagdgebiet unseres Marders schon deshalb bestens geeignet zu sein schien, weil um ihn rum so viele große tolle Häuser stehen. Denn seine Vorliebe für weitläufige Dachböden kannten wir ja.

Was die Ratgeber allerdings auch sagen: Man muss eigentlich einen Jagdschein haben, um ein Wildtier zu fangen. Und das ist ein Marder ja. Oder den Ortsförster damit beauftragen. Aber den können wir - andere Geschichte! - nicht ab. Außerdem gelte es, die nachwuchsbedingten Schonzeiten zu beachten, in denen weder der Marder und erst recht nicht die Marderin bejagt werden dürfen. Und dann lasen wir auch noch Hermann Peter Piwitts Novelle «Sommer mit Waschbär», derzufolge Lebendfallen schon mal weniger den Tieren als den ihnen über steile Bodentreppen nachstellenden Menschen schaden können. Ziemlich schaden sogar. Kurzum: Besonders traurig waren wir nicht, dass uns unser Mardi nicht in die Falle gegangen und offensichtlich ganz abgewandert war … aber, Moment mal! Was war denn das? Hörten wir nicht gerade beim Müllrausbringen draußen im Dunklen etwas sehr hastig die Dachschräge hochkratzen? Also schnell die Taschenlampe Richtung Lärm geschwenkt - und siehe da: Auf halber Höhe, im Winkel der Dachgaube, blitzten kurz und grün zwei kleine Augenpunkte auf, bevor sie flugs wieder verschwanden. Und am nächsten Morgen dann: wieder das vertraute wie nervige Gebölke, Geklopfe und Herumgeschlottere direkt überm Bett. Immerhin wussten wir jetzt, wo der Marder einsteigt. Die Kratzspuren im Moos der Dachplatten zeigten deutlich seinen Pfad ins Haus. Sofort beköderten wir die Lebendfalle wieder frisch mit einer in sie hineinführenden Honigrosinenspur und einem fetten weißen Hühnerei auf der Auslösewippe. Und stellten sie erneut scharf.

Gegen sechs in der Früh: heftiges Gerumpel und ausdauerndes Geschlurfe über uns. Bei der Kontrolle dann: fassungsloses Staunen. Alle Köder weg, aber die Falle - offen. Der Supermardi - wie er inzwischen von einigen, man muss wohl sagen, falschen Freunden genannt wurde, die unsere Jagdbemühungen teils amüsiert, teils hämisch und ausnahmslos marderparteiisch verfolgten - hatte nicht nur sämtliche Rosinen aus der Falle geräumt, sondern auch das auf der Auslösewippe platzierte leuchtend weiße XXL-Ei.

Allmählich wähnten wir uns mit unserem Jägerlatein am Ende. Am Nachmittag sprachen wir deshalb im Fallenfachhandel vor und formulierten eine Beschwerde dahingehend, dass die Lebendfalle (130 Euro) bei unserem Marder ganz offensichtlich nicht funze. Ach, da seien wir nicht die Einzigen, so der Fachhändler leutselig. Erst heute Morgen habe ihm jemand, ähnlich angepampt wie wir, kundgetan, dass sich auch sein Marder partout nicht mit der Lebendfalle fangen ließe. Offensichtlich habe sich deren Prinzip in der Marderwelt herumgesprochen. Nach einem Abgleich aller von uns ergriffenen Maßnahmen erkannte der Fallenfachmann eine bisher noch nicht ergriffene: den Köder so fest auf der Wippe fixieren, dass der Marder, wollte er ihn packen, derart doll an ihm zerren müsse, dass das die Schließmechanik auf jeden Fall auslösen würde. Wir haben dann den Rest des Tages mit Doppelklebeband und rohen Eiern experimentiert. Am Ende es dann tatsächlich geschafft, einen Streifen auf die Wippe zu pappen und ein weißes Ei fest genug darauf zu pressen, ohne es dabei zu zerdrücken. Dann eine neue Rosinenspur gelegt, die Falle scharf gemacht, beide Klappen wieder geöffnet.

Am nächsten Morgen: Still ruhte die Falle. Auch vom Marder war nachts nichts zu hören gewesen. Und so ging das die ganze folgende Woche. Nichts mehr vom Mardi zu vernehmen. Freund Günther schrieb: «Hab’ gerade über Ecken von eurem Supermardi gehört, und da fiel mir sofort das Geheimrezept von Kollege Tom ein, der vor Jahren in seinem alten Bauernhaus das gleiche Problem hatte. Ich sage nur ein Wort: Raubkatzenscheiße!» Günther hatte bei Tom eigens noch mal nachgefragt: «Ja, Raubkatzenscheiße ist wirklich das einzig Wahre. Der Zoo rückt gerne einen Löwen-Leoparden-Kackmix raus. Hier und da kleine Kügelchen auf dem Dachboden verteilen, so lässt sich ein Marder auf Dauer vergrämen, wie wir Waidmänner sagen.» Manche im Dorf schwören auch auf Hundehaare, das hab’ ich aber noch nicht versucht.« Wir haben weder das eine noch das andere probiert, ihn aber wieder gehört. Und vermutet, dass der Mardi offenbar erneut, und zwar über eine unweit vom Haus stehende Tanne, aufs Dach und so auf unseren Kriechboden gelangt war. Der Baum ward innerhalb der nächsten Stunde gefällt.

In die Falle ging er aber deshalb noch lange nicht. Dafür begann es einige Tage später zu riechen. Unmerklich zunächst, und wir dachten zuerst an das Rotkohlgericht gestern. Zwei Tage drauf war der süßliche Gestank aber so stark geworden, dass selbst Dauerlüften nicht mehr half. Es hatte sich also mal wieder ein Mausi in die nunmehr ja marderbefreite Zone gewagt, war dort zugrunde und mählich in Verwesung übergegangen - so jedenfalls unsere Hoffnung. Als es nach acht Tagen immer noch stank, versuchten wir uns einzureden, dass es wohl dieses Mal ein ziemlich großes Mäuschen sein musste. Erst nach weiteren fünf Tagen war das Gröbste überstanden. Vom Marder seitdem: keine Spur, kein Laut mehr.

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