Führungswechsel eingeleitet

Die SPD-Fraktion im hessischen Parlament hat eine neue Vorsitzende

  • Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden
  • Lesedauer: 3 Min.

Der langjährige hessische SPD-Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel hat seinen bereits im März angekündigten Ausstieg aus der Tages- und Parteipolitik eingeleitet. Am Mittwoch legte er nach einer Abschiedsrede sein Mandat im Wiesbadener Landtag nieder, das er über 16 Jahre ausgeübt hatte. Als Nachfolgerin wählte die Fraktion bei nur einer Gegenstimme Nancy Faeser, die als langjährige Generalsekretärin in der Landespartei gut vernetzt ist. Ihre Wahl zur SPD-Landesvorsitzenden im November gilt als sicher.

Am 1. Oktober, seinem 50. Geburtstag, übernimmt Schäfer-Gümbel den Posten eines Arbeitsdirektors und Vorstands der bundeseigenen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Er wird damit finanziell besser gestellt sein als in seiner bisherigen Funktion im Landtag. Das Vorschlagsrecht für den Vorstandsjob bei der GIZ, die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) weltweite Entwicklungs- und Kooperationsprojekte koordiniert, steht nach dem Koalitionsvertrag der amtierenden Bundesregierung der SPD zu. GIZ-Vorstandssprecherin ist die frühere baden-württembergische Umweltministerin Tanja Gönner (CDU). Mit dem Einzug in die GIZ-Chefetage endet auch Schäfer-Gümbels sommerliche Mission an der Spitze der SPD. Nach dem Rücktritt der Parteichefin Andrea Nahles im Juni hatte er zusammen mit den Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) als kommissarischer SPD-Bundesvorsitzender fungiert.

TSG, wie ihn seine Genossen nennen, kam 2003 erstmals in den Wiesbadener Landtag und wurde Ende 2008 in die erste Reihe katapultiert. Damals scheiterte die von der damaligen SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti geplante Minderheitsregierung aus SPD und Grünen mit Tolerierung durch die LINKE am Veto der Wirtschaft und an vier konservativen SPD-Abgeordneten.

Niemand lastete ihm an, dass die SPD bei den Neuwahlen Anfang 2009 um 13 Punkte auf nur noch 23,7 Prozent absackte. 2013 konnte die Partei immerhin 30,7 Prozent der Stimmen gewinnen, machte den Rückschlag also, erneut mit TSG an der Spitze, teilweise wett. Doch dessen Ambitionen auf das Ministerpräsidentenamt an der Spitze einer rot-grünen Minderheitsregierung wurden zunichtegemacht: Die Grünen zogen das Bündnis mit der CDU vor. Bei der Landtagswahl im Herbst 2018 sackte die SPD auf 19,8 Prozent ab. Die Träume vom Einzug in die Staatskanzlei waren damit passé.

Schäfer-Gümbel betonte in Reden oft, dass er seinen sozialen Aufstieg vor allem der SPD-Bildungspolitik verdanke und als Erster in seiner Familie studiert habe. Zu Beginn seiner Abschiedsrede bedankte er sich demonstrativ bei dem von einer Fremdfirma gestellten Reinigungspersonal im Landtag und bezeichnete es als »Skandal«, dass viele Abgeordnete die Reinigungskräfte nicht einmal grüßten. Seine SPD-Karriere begründete TSG als rebellischer Juso auch mit einem Schuss Internationalismus.

1993 verabschiedete die SPD-Jugend im Bezirk Hessen-Süd eine Resolution gegen Blauhelmmissionen der Bundeswehr und eine Militarisierung der Außenpolitik. Wenig später drohte TSG und anderen Jusos der Parteiausschluss, als sie aus Protest gegen die Abschiebung kurdischer Flüchtlinge in Bürgerkriegsgebiete öffentlichkeitswirksam drohten, einen Hund zu vergiften. Dies wurde in Medienberichten skandalisiert und setzte die damalige SPD-Bezirkschefin und spätere Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul unter Druck. Doch die Schiedskommission lehnte den Ausschluss ab.

Als TSG Ende 2008 Spitzenkandidat wurde, suchte ein emsiger »FAZ«-Redakteur im Internet neue Munition gegen ihn und entdeckte, dass der Sozialdemokrat 2004 einen von Anhängern der trotzkistischen International Marxist Tendency gestarteten Appell der internationalen Solidaritätskampagne »Hands off Venezuela« unterschrieben hatte. Doch die »Frankfurter Rundschau« nahm TSG damals ebenso in Schutz wie die Venezuela-Solidaritätskampagne.

Die designierte SPD-Landeschefin und Nancy Faeser soll bei einem Landesparteitag im November offiziell gewählt werden. Die Juristin möchte ihre Partei in den nächsten Landtagswahlkampf führen. Sie ist eher dem rechten Flügel der Partei zuzurechnen und möchte jetzt mit Bildungspolitik und der Forderung nach einem spezifischen hessischen Mindestlohn deutlich über dem Bundesniveau punkten.

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