• Berlin
  • »Clankriminalität«

Geisel gibt sich schlagkräftig

Innensenator will sich verstärkt der Bekämpfung von »Clankriminalität« widmen

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 3 Min.

Schwerbewaffnete Polizisten mit Sturmhaube verhaften dubios aussehende Männer, werfen sie zu Boden, legen Handschellen an. Bargeld wird gezählt, Juwelen sind in Nahaufnahme zu sehen, dann Kokain, Pistolen. Die Videobilder, die der Vertreter der europäischen Polizeibehörde Europol einspielt, könnten aus einem Hollywood-Blockbuster stammen.

So startet am Donnerstag die vom Innensenator Andreas Geisel (SPD) einberufene Konferenz zur Bekämpfung von »Clankriminalität« - mit einer Selbstinszenierung der Polizei als heroischer Kämpferin gegen das Böse. Auch politisch fallen große Worte: »Hier kommt die politische Entschlossenheit«, sagt die Bundestagsabgeordnete Susanne Mittag (SPD), in ihrem Grußwort.

»Wir haben die Kräfte gebündelt«, sagt Polizeipräsidentin Barbara Slowik. Nach dem Mord an Nidal R. im September 2018 auf dem Tempelhofer Feld habe man seitens der Berliner Institutionen gehandelt. Nun soll ressortübergreifend gegen die Kriminalitätsform vorgegangen werden. Dafür wurden drei sogenannte Taskforces eingerichtet: Die Staatsanwaltschaft betreut die Gruppe »Ahndung und Fahndung«, die Polizei eine zu »Netzwerk und Struktur« und die Verwaltung des Bezirks Neukölln soll sich um Möglichkeiten des Ausstiegs aus kriminellen Strukturen kümmern.

Im weiteren gibt Oberstaatsanwalt Sjors Kamstra darüber gibt Auskunft, wodurch sich seiner Ansicht »Clans« auszeichnen. Er charakterisiert sie als »Familienverbände« mit einer »Vielzahl von Familienangehörigen«. Sie hätten einen »protzigen Lebensstil«, würden sich mit Luxusgütern umgeben und das »Recht des Stärkeren« verfolgen. Nicht alle seien kriminell, in Berlin gehe man von acht dieser Gruppen aus. Deren Kriminalität sei für die Ermittlungsbehörden schwer zu fassen. Klassische Methoden würden nicht greifen, Zeugen würden bedroht und zum Schweigen gebracht. Man bräuchte, so Kamstra, mehr »objektive Beweismittel«.

Wie die zu erbringen sind, steht für den Oberstaatsanwalt fest: Mehr Ermittlungspersonal, mehr technische Möglichkeiten der Überwachung, und besseren Zeugenschutz. Außerdem plädiert er für einen lockeren Datenschutz bezüglich von Steuerdaten. Das würde einen massiven Abbau von Bürgerrechten bedeuten.

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Geisel spricht - etwas zurückhaltender - von einer »ersten Bestandsaufnahme« zum Thema. Er sieht sich in der Sache als »Marathonläufer«: Der erste Kilometer sei gelaufen, nun sei die Frage, wie die letzten 41 zu bewältigen seien. »Ja, es wird Rückschläge geben«, räumt der Innensenator ein. Man orientiere sich weiter am seit November 2018 laufenden »Fünf-Punkte-Plan«. Darin geht es unter anderem um »niedrigschwellige Aktionen gegen die Banden«. Ermittlungen sollten nicht nur wegen Kapitalverbrechen geführt werden, sondern auch wegen Falschparkens.

Es brauche, so heißt es, mehr Präventionsarbeit: Mitgliedern arabischer Großfamilien, die als Clans gehandelt werden, müssten legale Perspektiven aufgezeigt werden.

Dieses Jahr sind bereits 237 Einsätze mit Bezug zu Clankriminalität gefahren worden, davon 55 sogenannte Verbundeinsätze, an denen Polizei, Finanzamt und Zoll beteiligt waren. 77 Immobilien hat die Behörde schon beschlagnahmt. Zuletzt kam es Mitte Oktober zu großangelegten Kontrollen in Neukölln und Kreuzberg. Diskriminieren möchte der Innensenat damit niemanden. »Mitglieder einer Familie sind nicht grundsätzlich kriminell«, so Geisel.

Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sieht in den sogenannten Clans »einen Schaden für das demokratische und soziale Gefüge«. Deren Mitglieder suchten seiner Ansicht nach bewusst die Öffentlichkeit und würden auch ihre Kriminalität nicht verstecken. Dabei gehe es vor allem um Anerkennung und Selbstdarstellung. Das Patriarchat spiele eine große Rolle: Die »Clans« seien Produkt »ganz klar männlicher Fantasien«, so Hikel. Er findet, das Problem sei »hausgemacht«. Vor 30 Jahren habe man keine sinnvolle Integrationspolitik betrieben. Dass sich Menschen dann Parallelgesellschaften suchten, sei logisch. Ähnliche Fehler dürfe man nicht wieder machen.

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