»Eine Minderheitsregierung ist möglich«

Thüringens Agrarministerin Birgit Keller (LINKE) will nach neuen Wegen bei der demokratischen Meinungsbildung suchen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Keller, wie ist die Stimmung bei Ihnen einige Tage nach der Wahl?

Wirklich gut. Ich bin noch immer sehr dankbar für das Vertrauen, das die Menschen dem Ministerpräsidenten, der LINKEN und natürlich auch mir ausgesprochen haben. Dass ich gemeinsam mit Katja Mitteldorf in Nordthüringen zwei Direktmandate für die Partei geholt habe, war nicht selbstverständlich.

Aber ein wesentliches Wahlziel hat die LINKE nicht erreicht: die Mehrheit für Rot-Rot-Grün sichern.

Das ist richtig, ich hätte mir ein stärkeres Ergebnis für Rot-Rot-Grün gewünscht, also vor allem für SPD und Grüne. Nach dem, was ich bisher an Wahlauswertungen gesehen habe, glaube ich, dass viele Menschen taktisch gewählt haben, auch bei mir zu Hause. Es gibt Menschen, die haben mich als Person und mit ihrer Zweitstimme CDU gewählt. In anderen Wahlkreisen ist das mit der Erst- und Zweitstimme anders herum. Nun muss man sehen, wie man damit umgeht. Der weitaus größere Wermutstropfen für mich ist, dass die AfD ihr Wahlergebnis von 2009 verdoppeln konnte und zweistärkste Kraft im Landtag noch vor der CDU geworden ist. Damit umzugehen, ist eine hohe Verantwortung, der sich LINKE, SPD, Grüne, CDU und FDP gleichermaßen stellen müssen.

Sie haben ein Direktmandat im ländlichen Raum gewonnen. Wie haben Sie das gemacht?

Bei mir hat sich bewahrheitet, was man LINKEN nachsagt: Dass wir Kümmerer sind; dass wir die alltäglichen Probleme der Menschen ernst nehmen; dass wir sie lösen. Das ist von jeher mein Arbeitsstil gewesen: Immer unten verwurzelt, nie von oben herab. Zum anderen bin ich im Landkreis Nordhausen, der im Wesentlichen den Wahlbezirk umfasst, den ich gewonnen habe, einen langen kommunalpolitisch Weg gegangen. Ich bin 1994 das erste Mal in den Kreistag gewählt worden, 1996 wurde ich Kreistagspräsidentin - und das in einer Zeit und als PDS-Mitglied, als wir als Partei noch gar nicht als Teil der Gesellschaft ernst genommen wurden. 2006 habe ich das erste Mal als Landrätin kandidiert und ein gutes Ergebnis geholt, auch wenn es nicht zum Wahlsieg gereicht hat. 2012 bin ich Landrätin geworden. Man braucht als LINKE einen langen, langen Atem, um nicht nur einmal gewählt zu werden, sondern das Vertrauen auch aufrecht zu erhalten, das die Menschen einem mit so einer Wahl schenken.

Es wird nun über eine mögliche rot-rot-grüne Minderheitsregierung nachgedacht. Was denken Sie?

Bodo Ramelow hat den Auftrag, eine Regierung zu bilden. Den wird er auch ausführen.

Das beantwortet die Frage nicht.

Ich halte eine Minderheitsregierung für möglich. Es werden nicht umsonst gerade viele Gespräche geführt. Wie das ausgeht? Da kann ich auch nur in die Glaskugel schauen.

Das klingt, als wären Sie nicht sonderlich optimistisch.

Gesetze werden im Landtag beschlossen. Da kann es keinesfalls ein Fehler sein, nach möglichst breiten Mehrheiten zu suchen. Denn das führt auch dazu, dass die Haltung möglichst vieler Menschen bei Sachfragen berücksichtigt wird. Das ist ganz im Sinne der Demokratie: Eine Sachfrage gemeinsam lösen, sodass die Lösung den Interessen möglichst vieler Menschen entspricht. Es stimmt aber auch: Damit wird es im Land komplizierter. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass in den letzten 30 Jahren die vorhandenen Möglichkeiten der demokratischen Meinungsbildung noch längst nicht ausgeschöpft worden sind.

Es wird auch diskutiert, ob die LINKE eine Partei am linken Rand ist oder in der Mitte. Wie sehen Sie das?

Ich habe mich noch nie zum Rand der Gesellschaft gezählt und sehe da auch meine Partei nicht. Eine Partei, die sich für soziale Gerechtigkeit, Frieden und für wirtschaftlichen Erfolg einsetzt, kann man doch gar nicht als am Rand stehend bezeichnen. Selbst die Einteilung des politischen Spektrums in ein konservatives Lager und ein progressives Lager halte ich für falsch. Der Anspruch jeder demokratischen Partei muss es doch sein, immer das ganze Land mitzunehmen.

Im Parteiprogramm steht, dass sie dieses System überwinden wollen.

Das ist richtig so. Wir sehen, dass es im System des Kapitalismus Grenzen gibt. Schauen Sie sich an, welche Sorgen Landwirte in Thüringen haben, weil sie unter den Bedingungen des Marktes arbeiten müssen, während auf der anderen Seite die Ansprüche der Verbraucher an sie immer größer werden. Um aus diesem Konflikt auszubrechen, müssen wir nach den Vorstellungen meiner Partei Möglichkeiten außerhalb des Kapitalismus finden. Nur so wird es gehen. Das kapitalistische System hat keine Antworten darauf, wie den globalen Herausforderungen begegnet werden kann. Das betrifft die Friedenssicherung wie die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeit und Armut, ganz aktuell auch die Notwendigkeit, Maßnahmen gegen den Klimawandel sozial gerecht zu entwickeln und umzusetzen.

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