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Neues Leben in der alten Schule
Reichenberg erlebt unerwarteten Zuzug. Bald gibt es hier auch ein Gesundheitszentrum
Die Wiese hinter dem Gebäude dient als Parkplatz. Hier stehen die Autos am Sonnabend dicht an dicht. Es sind viele Neugierige gekommen, um sich bei einem Weihnachtsmarkt das neue Gesundheitszentrum »Thomas Müntzer« in Reichenberg (Märkisch-Oderland) einmal von innen anzuschauen. Dabei ist es noch lange nicht fertig. Demnächst wird gerade einmal der erste Bauabschnitt abgeschlossen.
Doch die ersten Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Fassade strahlt so frisch, dass man meinen könnte, es handele sich um einen Neubau. Nur auf der Treppe ins Obergeschoss lugt an der Wand noch etwas von dem alten Mauerwerk hervor. Bereits 1965 wurde die Polytechnische Oberschule erbaut. Benannt war sie nach Thomas Müntzer, dem für die Reformation begeisterten Pfarrer, der sich im Bauernkrieg auf die Seite der Armen stellte und 1525 nach der Schlacht bei Frankenhausen gefangen genommen und hingerichtet wurde.
Der Name ist geblieben. Sonst ist bei dem stark veränderten Grundriss nur schwer etwas wiederzuerkennen. Eigeweihte wissen aber, dass im Obergeschoss, wo künftig ein Zahnarzt seine Patienten behandeln soll, früher das Lehrerzimmer gewesen ist. Rund 1000 Schüler lernten hier einst von der ersten bis zur zehnten Klasse. Bis zur Wende. Dann diente die Bildungsstätte nur noch als Grundschule, bevor sie 1996 wegen Schülermangels geschlossen werden musste. Die wenigen Kinder im Ort mussten fortan nach Neuhardenberg zur Grundschule, zur Oberschule mussten sie sogar noch weiter fahren.
Die damals graue Schule stand daraufhin lange leer. Damit war sie in Reichenberg nicht allein: Auch das Kulturhaus machte dicht, es gab kein Geschäft mehr und keine Arztpraxis. »Nach der Wende ist unser Dorf leider zurückgefallen«, bedauert Monika Lauritsen. Ihre vier Kinder sind hier zur Schule gegangen. Die 79-Jährige war die Frau des Tierarztes im Dorf und hat mit ihm zusammen die 1000 Rinder der hiesigen Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft betreut. Nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik ging die Jugend wegen der hohen Arbeitslosigkeit in den Westen. Wie viele Dörfer in Ostdeutschland drohte auch Reichenberg zu veröden.
Doch engagierte Einwohner wie Lauritsen fanden sich nicht damit ab. 2010 gründeten sie einen Förderverein, um die alte Schule mit neuem Leben zu erfüllen. Doch die Idee eines Gesundheitszentrums ließ sich zunächst nicht so einfach in die Tat umsetzen. Es brauchte einen langen Atem, bis 2017 mit EU-Fördermitteln der Umbau beginnen konnte. Es stellte sich heraus, dass die Abrechnung eine komplizierte Sache ist. Die Baufirmen drängelten aber, wollten endlich ihr Geld. Da ergab sich für den Verein die Möglichkeit, unter das Dach des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) zu schlüpfen. Seitdem klappt alles prima, freut sich Lauritsen.
Inzwischen wird das Zentrum auch dringend gebraucht. Weil Berlin so teuer geworden ist, erlebt Reichenberg einen nicht mehr für möglich gehaltenen Zuzug. Am Ortsrand entstand in kurzer Zeit ein Eigenheim nach dem anderen. Für 32 Kinder hat die bereits in der alten Schule eröffnete Kita Platz und sie soll noch erweitert werden. Gleich nebenan im Haus entsteht eine Tagespflege für zunächst 18 Senioren. Die ersten Pflegebedürftigen sollen hier schon bald betreut werden. »Wir hoffen, Mitte Januar«, erklärt Leiterin Franziska Templin. Sie steht mit vier Mitarbeitern bereit. Es gibt ein modernes Bad mit einer Spezialwanne und verschiedene Räume, in denen die Alten verschnaufen können. Aber es sei nicht so, dass sie alle nur immer Ruhe haben möchten, sagt Templin. Viele freuen sich, dass nebenan der Kita-Spielplatz ist, denn sie möchten mittendrin im quirligen Leben sein.
Dabei spielt auch Musik eine wichtige Rolle. Im Saal der Tagespflege steht ein kleines Klavier, ein sogenannter Stutzflügel. Hier wird Ishlar Smolny, eine Pianistin aus dem benachbarten Ihlow, die im Verein mitwirkt, für Alt und Jung Konzerte geben, freut sich Monika Lauritsen. Die 79-Jährige konnte den Flügel von einem alten Herrn organisieren. Wie es der Zufall wollte, war dies ausgerechnet der Klavierlehrer von Ishlar Smolny. 1300 Euro hat Lauritsen dafür hingeblättert. Als ihr Mann im Frühjahr starb, hat sie bei der Beerdigung um Spenden für den Flügel gebeten. Es ist so viel Geld zusammengekommen, dass es auch noch für die Restauration des Instruments reicht. Ein Schild erinnert an den verstorbenen Ehemann.
Im Erdgeschoss ist die Internistin Heike Belian bereits eingezogen. Damit hat Reichenberg für die nächsten Jahre endlich wieder eine Hausärztin. Belian habe ihre Praxis vorher in Berlin gehabt, doch die Anonymität der Großstadt habe ihr nicht gefallen, so dass sie in Reichenberg noch einmal einen Neuanfang wagte, erzählt Lauritsen. Belians Tochter studiere Medizin und könne die Praxis vielleicht später übernehmen, hofft sie.
Es scheinen keine Wünsche offen zu bleiben. Ein Dorfladen samt Café wird hier mit einziehen und auch eine Küche wird eingerichtet. Diese werde mit regionalen Zutaten das Essen für die Tagespflege und die vier DRK-Kitas in der Gegend zubereiten, kündigt Sibylle Bock, Vizepräsidentin des DRK-Kreisverbandes, an. Im Obergeschoss entstehen noch fünf barrierefreie Mietwohnungen, die knapp sind auf dem Land. Im Treppenhaus haben Bauarbeiter bereits Platz für den Fahrstuhlschacht geschaffen.
Auf insgesamt 2,4 Millionen Euro ist die Investition berechnet. Der erste Bauabschnitt verschlang rund die Hälfte. Damit liege man im Plan, erläutert Vereinschefin Käte Roos. Ein Wunsch ist dann aber doch noch offen. Die alte Turnhalle der Schule ist reparaturbedürftig. So eine Halle würde zu einem Gesundheitszentrum gut passen. Fehlt nur noch ein Sponsor, der die Sanierung bezahlt.
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