- Aus dem Netz gefischt
- Hatespeech
So viel Schmäh
Der Linguist Joachim Scharloth hat eine Datenbank aufgebaut, in der er Schimpfwörter der politischen Rechten sammelt
Wollte Joachim Scharloth etwas über die vergiftete Sprache rechter Bewegungen erfahren, musste der Linguist bis vor wenigen Jahren nur seinen Arbeitsplatz verlassen. Bis 2017 war Scharloth Professor für Angewandte Linguistik an der Technischen Universität in Dresden, der Heimatstadt der rassistischen Pegida-Bewegung. Auch nach seinem Wechsel an die Waseda-Universität in Tokio beschäftigte sich Scharloth weiter mit der Sprache der Rechten, besonders im Internet.
Über die Jahre baute der Sprachwissenschaftler eine Datenbank auf, in der er Schimpfwörter sammelt, die von der neuen Rechten in verbalen Auseinandersetzungen verwendet werden. Inzwischen umfasst die Sammlung 30.000 Einträge, darunter allein mehr als 1000 Schmähbegriffe für Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Ergebnisse seiner Forschung stellte Scharloth in Deutschland zuletzt auf dem Chaos Communication Congress Ende Dezember in Leipzig vor.
Was ihm bei seiner Arbeit auffiel: Nur wenige Begriffe werden von der Rechten wiederholt verwendet und gehen in ihr allgemeines Vokabular über. In der breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Begriffe wie »Lügenpresse« oder »Volksverräter« sind eher die Ausnahme. »In den Kommentarspalten finden richtige Überbietungswettbewerbe statt: Wer landet die noch originellere Beschimpfung, wer findet den noch herabwürdigenderen Ausdruck?«, erklärt der Linguist auf deutschlandfunknova.de.
Sehr beliebt sind Neuschöpfungen, bestehend aus zwei Wörtern, wobei eines von beiden eine negative Bedeutung oder Konnotation hat. »Migrant« und »Ratte« verschmilzt etwa zu »Migratte«, aus »Journalist« und »Halunke« wird der »Journalunke«.
Besonders häufig richten sich die Beleidigungen gegen Migranten, aber auch gegen jeden, den Rechte als »Gutmensch« kategorisieren. »Alles, was mit Metastasen und Geschwüren zusammenhängt, ist natürlich was ganz Übles. Ganz viel wird auch sexualisiert, das ist natürlich übelstes Zeug, das sollten wir nicht machen.« Scharloth warnt: Mit jeder neuen Herabwürdigung werde eine Grenze verschoben. Solche Beleidigungen haben dem Linguisten zufolge zwei Funktionen: In der Gruppe stiften sie eine gemeinsame Identität, nach außen geht es vor allem um Aufmerksamkeit.
Der Gebrauch herabwürdigender Sprache und von Wortneuschöpfungen ist kein deutsches Phänomen, sondern wird von Rechten international angewandt. Ein bekanntes und inzwischen global verwendetes Stichwort lieferte Donald Trump. 2018 soll der US-Präsident bei einem internen Gespräch zur US-Einwanderungspolitik im Weißen Haus über »Shithole Countries« geschimpft haben, aus denen sich Menschen in die Vereinigten Staaten aufmachten. Mit den »Dreckslöchern« waren Länder wie Haiti gemeint. Laut Scharloth haben sich die »Shithole Countries« zu einem geflügelten Wort entwickelt, von dem es inzwischen sogar Ableitungen wie »shitholisieren« und »geshitholt« gibt.
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