Fragwürdige Prozessbedingungen für Julian Assange

Prozessbeobachter kritisieren Verstöße gegen die Verfahrensrechte, die dem Angeklagten zustehen

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.
"Journalismus ist kein Verbrechen. Liefert Assange nicht aus", fordern Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in London.
"Journalismus ist kein Verbrechen. Liefert Assange nicht aus", fordern Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude in London.

London. Der Prozess gegen den Wikileaksgründer Julian Assange findet unter Protesten am königlichen Gerichtshof Woolwich statt. Prozessbeobachter und Verteidiger schildern, wie mit dem Angeklagten und dessen Unterstützern umgegangen wird. So wurde am Gericht in gestern dem derzeitigen Chefredakteur von Wikileaks Kristinn Hrafnsson zunächst ohne Angabe von Gründen verweigert. »Mir wurde mitgeteilt, das Gericht habe entschieden, mich von der Besuchertribüne zu verbannen«, zitiert »Zeit Online« den isländischen Journalisten.

Für Julian Assange, der unter den Auswirkungen der Haft in einem Hochsicherheitsgefängnis leidet, wird der Prozess nach Angaben seiner Verteidiger zusehends erschwert. Am ersten Prozesstag musste Assange fünf Mal die Gefängniszelle wechseln. Elfmal wurden ihm Handschellen angelegt und er wurde zwei Mal durchsucht. Ärzte bezeichnen den Gesundheitszustand von Assange weiterhin als fragil und gehen davon aus, Assange werde im Falle einer Auslieferung an die USA - ihm drohen dort bis zu 175 Einzelhaft - einen Weg finden, um Suizid zu begehen.

Dem Verfahren kann Assange nicht nur aus gesundheitlichen Gründen nur unter erschwerten Bedingungen folgen. So seien ihm nach dem ersten Tag Verfahrensunterlagen weggenommen worden, die er für seine Vorbereitung brauchen würde und die ihm als Beschuldigten zugänglich zu machen sind.

Ankläger leugnen Journalistenstatus

Assange wird in den USA vorgeworfen, mit den Veröffentlichungen auf der Enthüllungsplattform Wikileaks das Leben von US-Bürgern gefährdet zu haben. Durch die Vertreter der US-Regierung wurde bisher kein Beleg erbracht, wie diese Gefährdung konkret ausgesehen haben soll. Journalisten, die mit Assange zusammengearbeitet haben, beschreiben unterdessen den Aufwand, den Assange gemeinsam mit mehreren namhaften Medien in Vorbereitung der Veröffentlichung betrieben hat.

Die US-Interessen wurden durch die Veröffentlichung der Irak-Afghanistan-Kriegstagebücher empfindlich gestört. Die Whistleblowerin Chelsea Manning hatte Wikileaks zahlreiche Dokumente und Videos zugespielt, die US-Kriegsverbrechen im Irak und die Kriegsführung in Afghanistan öffentlich machten. Auch Manning wurde in einem Prozess als Verräterin mit 35 Jahren Gefängnis bestraft. Obgleich sie nach sieben Jahren vorzeitig entlassen wurde, ist sie derzeit erneut in den USA inhaftiert. Der Grund: Es soll eine Aussage gegen Julian Assange erzwungen werden. Manning verweigert diese Aussage und lässt aus der Beugehaft wissen, sie würde lieber verhungern, als gegen Assange auszusagen. Auch Manning hatte während ihrer Isolationshaft in US-Gefängnissen mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

Mordkomplott gegen Assange

Die Verteidigung brachte vor, man habe Zeugen, die belegen können, dass mit der Sicherheitsfirma, die in der ecuadorianischen Botschaft eingesetzt wurde, über »extremere Maßnahmen« gegen Assange gesprochen wurde. Die Videoüberwachung der Botschaftsräume, die nicht nur in die Persönlichkeitsrechte von Assange, sondern auch in die seiner Besucher eingriff - sogar die Damentoilette soll überwacht worden sein - hatten bereits deutsche Journalisten zum Thema gemacht. »Extremere Maßnahmen« reichen bis zu einem Mordkomplott gegen Assange. Es habe den Vorschlag gegeben, eine Tür der Botschaft offen stehen zu lassen, um eine Entführung wie ein Versehen aussehen zu lassen, zitierte einer der Verteidiger Edward Fitzgerald aus der Zeugenaussage. »Ja, sogar die Möglichkeit des Vergiftens wurde besprochen«, berichtet Kai Biermann für »Zeit Online«.

Unterstützer vor Ort

Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion sind in London und verfolgen den Prozess und die Solidaritätsproteste für Julian Assange. »Journalismus ist kein Verbrechen, Julian Assange muss aus der Haft entlassen werden. Einen größeren Präzedenzfall der Pressefreiheit wird es in absehbarer Zeit nicht geben«, sagt Doris Achelwilm, medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke. »Die Enthüllungen auf der Plattform WikiLeaks über die Kriegsverbrechen der USA im Irak waren im öffentlichen Interesse und müssen durch die Pressefreiheit geschützt werden.«

Auch der US-Whistleblower Edward Snowden sieht in dem Verfahren gegen Julian Assange einen Präzedenzfall und weist auf die Bedrohung für den investigativen Journalismus hin, die mit dem Fall Wikileaks einhergeht.

Druck auf die Bundesregierung

In Berlin hatte sich am Montag die ehemalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) öffentlich für die Gewährung von Asyl ausgesprochen, um Druck auf die amtierende Bundesregierung auszuüben. Ähnliche Bestrebungen gab es in den letzten Jahren rund um den Geheimdienstwhistleblower Edward Snowden. Nach langem Prüfungsprozess sah das SPD-geführte Justizministerium damals keine Möglichkeit. Nicht zuletzt, um diplomatische Verwicklungen mit den USA zu vermeiden, erteilte man den Asylforderungen damals eine Absage.

Es ist die erste Woche der Verhandlungen über eine Auslieferung von Julian Assange an die USA. Nach einer mehrwöchigen Unterbrechung wird die Verhandlung dann im Mai fortgesetzt.

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