Wie ein Astronaut in der Klinik

Im Potsdamer St.-Josefs-Krankenhaus helfen Kollegen aus anderen Häusern und Freiwillige

Das katholische St.-Josefs-Krankenhaus in Potsdam sieht sich in einer Ausnahmesituation, seit für das kommunale Klinikum Ernst von Bergmann (EvB) ein Aufnahmestopp gilt, nachdem dort viele Infektionen mit dem Coronavirus entdeckt wurden. Seitdem befindet sich im St.-Josefs-Krankenhaus die zentrale Notaufnahme für die Stadt Potsdam und das Umland, wo zusammen rund 200 000 Menschen leben. Dies stellt das Haus vor eine schwierige Aufgabe. Es genießt in der Bevölkerung einen guten Ruf, ist aber nicht einmal halb so groß wie das EvB und muss nun deutlich mehr leisten.

Mitte April sah sich das St.-Josefs-Krankenhaus genötigt, vorübergehend keine Covid-19-Patienten mehr aufzunehmen, die auf einer Intensivstation versorgt werden müssen. Betroffene wurden ins städtische Klinikum Brandenburg/Havel oder in andere Krankenhäuser in Westbrandenburg gebracht.

Inzwischen habe sich die Situation etwas entspannt, sagt Sprecher Benjamin Stengl. Demnach half in Potsdam die christliche Oberlin-Klinik mit Fachkräften für die Unfallchirurgie aus, das evangelische Zentrum für Altersmedizin schickte Therapeuten, und aus dem katholischen St.-Hedwigs-Krankenhaus in Berlin kommt ebenfalls Personal. Insgesamt sind es 60 Kollegen, darunter 17 aus dem Bergmann-Klinikum.

Eine zusätzliche Hilfe sind ehrenamtliche Freiwillige - ein Dutzend Leute, die sich auf einen Hilferuf hin meldeten. Es seien vor allem Menschen, die ursprünglich einen medizinischen Beruf ausübten, sich aber zwischenzeitlich anders orientierten, erklärt Stengl. Dazu gehört Anja Mayer, die Landesvorsitzende der Linkspartei. Bei einem Notarzt hat sie Arzthelferin gelernt. 14 Jahre ist es her, dass sie zuletzt in diesem Beruf gearbeitet hat. Jetzt schiebt sie ehrenamtlich Dienste in der Notaufnahme von St. Josefs. Hier sei man »sehr angetan vom Engagement von Frau Mayer«, berichtet Benjamin Stengl. Sie sei losgelöst von ihrem politischen Kontext gekommen, »nicht als Politikerin, sondern als Mensch«.

Dass eine Sozialistin in einem katholischen Krankenhaus wirkt, sei schon speziell, bestätigt Stengl, andererseits aber nicht weiter auffällig. Denn die Religion spiele weder bei den Beschäftigten noch bei den Patienten eine Rolle. Gott liebe schließlich jedes Schäfchen.

Anja Mayer wollte ihr Engagement nicht publik machen. Zunächst blieb sie unerkannt. Doch als der Sender RBB in der Notaufnahme filmte, lief sie aus Versehen durchs Bild und wurde trotz Mundschutz von Fernsehzuschauern identifiziert. Die 40-Jährige bedauert das. Sie möchte sich keinesfalls ausführlich zu ihrem Einsatz äußern. Darum sagt sie Journalisten auf Anfrage zur Veröffentlichung stets nur drei Sätze zu dieser Angelegenheit. »Mir geht es wirklich lediglich darum, hier Menschen helfen zu können«, beteuert sie. »Mir ist es wichtig, in der größten Pandemie, die wir seit 100 Jahren haben, dort zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird.« Dann schwärmt sie noch: »Es gibt einen unglaublichen Zusammenhalt im Team, wie ich ihn früher in meinem Beruf so nicht immer erlebt habe.«

Auch andere Bürger helfen selbstlos. Nicht alle haben eine Ausbildung in der Pflege absolviert, wie Sprecher Stengl erläutert. So sei beispielsweise ein Herr als Concierge am Empfang eingesetzt. Jetzt, wo wegen Covid-19 ein Besuchsverbot gilt, dürfen Angehörige immerhin Aufmerksamkeiten für Patienten abgeben, und der Ehrenamtliche nehme sie entgegen.

244 Betten hat das St.-Josefs-Krankenhaus laut Plan, 230 Betten sind aufgestellt. Doch in den Drei-Bett-Zimmern bleibt derzeit generell mindestens eins aus Infektionsschutzgründen leer. 100 Betten seien im Moment mit nicht infizierten Patienten belegt, erläutert Stengl. Für Covid-19-Erkrankte seien 86 Betten reserviert, davon aktuell 24 belegt. Von nominell zwölf Betten auf der Intensivstation, die zur Behandlung von Corona-Paienten zur Verfügung stehen, habe man wegen des Personalengpasses derzeit nur vier als verfügbar an das Gesundheitsministerium gemeldet. Alle vier seien gegenwärtig frei.

Die Zahl der Infizierten unter den 550 Mitarbeitern habe sich bei 40 bis 50 eingepegelt, jetzt gerade seien es 44. Trotz penibler Beachtung der Hygienevorschriften lasse sich eine Ansteckung nicht immer verhindern, bedauert Stengl. Er könne Geschichten von Kollegen erzählen, die sich zu Hause eine behelfsmäßige Sicherheitsschleuse bastelten und den Kindern extra keinen Gute-Nacht-Kuss geben. Dennoch komme es vor, dass sich sogar der gewissenhafteste Kollege auf dem Weg zur Arbeit in der Straßenbahn anstecke.

Das Coronavirus nennt Stengl den »unsichtbaren Feind«. Der Vollschutz mit Kittel, Handschuhen, Maske und Visier garantiere keine hundertprozentige Sicherheit. Nebenbei bemerkt der Sprecher, dass die stundenlange Arbeit damit auch eine psychische Belastung sei. »Man fühlt sich dabei wie ein Astronaut im Weltraum.«

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