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Doppelt gerecht

Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte nicht nur vor Armut schützen, sondern auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit beitragen

  • Birthe Berghöfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Menschen quälen derzeit Ängste um die eigene Existenz, immerhin gehörten zu den ersten, spürbaren Folgen der Corona-Pandemie der Wechsel in Kurzarbeit oder gar der Verlust des Jobs. Es überrascht daher wenig, dass Forderungen nach mehr sozialer Sicherung wieder lauter werden. So sind in den letzten Wochen mehrfach Petitionen für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) gestartet worden und auch die Landtagsfraktion der Linken in Sachsen-Anhalt forderte jüngst ein Grundeinkommen von 1000 Euro im Monat, solange die Krise andauert. In der Regel geht es darum, dass jeder Mensch individuellen Anspruch auf ein existenzsicherndes Einkommen haben soll, das ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit ausgezahlt werden würde.

Tatsächlich ist der Bedarf an sozialstaatlicher Unterstützung nicht erst seit der Coronakrise groß und die Nachfrage am Wachsen. Denn das sogenannte »Normalarbeitsverhältnis«, die unbefristete Vollzeitbeschäftigung mit existenzsichernder Bezahlung, ist schon lange nicht mehr »normal«. Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung arbeiteten 2017 knapp 21 Prozent aller Beschäftigten in Leiharbeit, Teilzeit, befristet oder in einem Minijob und damit in sogenannten atypischen Beschäftigungen. Begleitet werden diese vielfach von prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, denn »generell liegt in diesen Beschäftigungsverhältnissen der Lohn niedriger als in regulären Arbeitsverhältnissen. Außerdem nehmen Beschäftigte ihre Arbeitnehmerrechte seltener wahr«, erklärte Studienmitautor Eric Seils damals gegenüber »nd«. Vor allem betroffen: Frauen. Von ihnen arbeiten fast ein Drittel in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, heißt es in der Studie. Nur etwa zwölf Prozent der Männer arbeiten hingegen atypisch. In der Konsequenz leben vor allem Frauen in prekären Verhältnisse, befinden sich in Abhängigkeiten von einem männlichen Ernährer oder aber »Vater Staat« und sind von Altersarmut bedroht.

Wenn ein BGE also, wie das Netzwerk Grundeinkommen schreibt, Armut und soziale Notlagen beseitigen würde, dann würden davon in erster Linie Frauen profitieren. Das bestätigt auch Ronald Blaschke, Mitgründer des Netzwerks und bekannter BGE-Fürsprecher, gegenüber »nd«. Zwar könne die Schlechterstellung von Frauen am Arbeitsmarkt mit einem Grundeinkommen nicht unbedingt aufgehoben werden, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Irene Pimminger. Jedoch würde sich diese zumindest nicht mehr im System der sozialen Sicherung, beispielsweise in Form von Altersarmut, fortsetzen. Und tatsächlich gehen die feministischen Potentiale eines BGE weiter, als »nur« bis zur Beendigung von ökonomischen Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten durch auf Lohnarbeit konzentrierte Sozialversicherungssysteme. Anzunehmen ist, dass ein BGE zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft beitragen könnte. »Keine*r ist mehr von eine*r Partner*in finanziell abhängig«, beschreibt Blaschke den emanzipatorischen Gehalt eines Grundeinkommens.

Gemeinsam mit Ina Praetorius und Antje Schrupp hat er das Buch »Das bedingungslose Grundeinkommen. Feministische und postpatriarchale Perspektiven« herausgegeben. In dem wird das BGE als »ein Konzept der sozialen Absicherung« beschrieben, »das die enge Verbindung von Arbeit und Einkommen auflöst«. Es würde Existenzsicherung und Erwerbsarbeit voneinander trennen und, so ist anzunehmen, den gegenwärtigen Stellenwert von Erwerbsarbeit relativieren. Damit habe das BGE das Potential, »ein wesentliches Anliegen feministischer Ökonomie aufzugreifen: nämlich die Erkenntnis, dass Arbeit weit mehr ist als Erwerbsarbeit, dass gesellschaftlicher Wohlstand stärker von unbezahlter Arbeit abhängt als von bezahlter, und dass Wirtschaft sich nicht in dem erschöpft, was gegen Geld getauscht und in Form von Zahlen, etwa im Bruttosozialprodukt, abgebildet wird.«

Geschlechterforscher*innen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Care-Revolution, wenn nämlich nicht mehr die Profitmaximierung im Zentrum einer Gesellschaft steht, sondern menschliche Bedürfnisse und Sorgetätigkeiten stärker anerkannt werden. Ein Grundeinkommen führe außerdem zu mehr Zeitsouveränität, so Blaschke. Und »wer mehr Zeit hat, kann sich auch mehr der Sorgearbeit – und anderen notwendigen Arbeiten, wie dem politischen Engagement – widmen.« Auch hätten Männer es schwerer, sich diesen Sorgetätigkeiten mit der Ausrede zu entziehen, sie müssten ja Geld anschaffen gehen.

Allerdings komme es nur dann zu einer deutlichen Anerkennung der wirklich notwendigen Arbeiten, wie Pflege und Erziehung, »wenn die Debatte um das Grundeinkommen mit einer generellen Debatte darüber geführt wird, was eigentlich für das gute Leben gebraucht wird«, meint Blaschke. Ein BGE sei zunächst einmal neutral gegenüber traditionellen Geschlechterrollen und Rollenverteilungen, betonen Wissenschaftler*innen. Es trage mit formal gleichen Subjekten zur Gleichstellung und Gleichberechtigung bei, hinterfrage an sich aber keine vergeschlechtlichten Normen. Und sei es nur realistisch, anzunehmen, dass ein BGE sich auch negativ auf Geschlechtergerechtigkeit auswirken könnte. Immerhin habe die geschlechterhierarchische Arbeitsteilung im Bereich der unbezahlten oder schlecht bezahlten Sorgearbeit »ein solches Beharrungsvermögen, dass die Behauptung ein bedingungsloses Grundeinkommen würde daran etwas ändern, fahrlässig wäre«, schreibt die Erwachsenenbildnerin und BGE-Befürworterin Margit Appel.

Auch Blaschke meint, dass sämtliche Formen von Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zusätzlich mit arbeitsmarktpolitischen Mitteln anzugehen seien. »Das Grundeinkommen ist kein Ersatz für diese.«

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