Hinter Glas

Zum Schutz vor dem Coronavirus tagten die Landtagsabgeordneten durch Scheiben getrennt

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

»Bitte gehen Sie vorsichtig mit den Scheiben um«, bat Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) am Mittwoch. Alle Abgeordneten im Saal waren diesmal mit Plexiglas voneinander abgetrennt. »Wir haben nicht die teuersten Scheiben gekauft. Sie sind also nicht entspiegelt. Das wird für Sie vielleicht schwierig sein«, bat Liedtke um Verständnis.

Hinter diesen Scheiben spielte sich dann in der Aktuellen Stunde des Parlaments eine hitzige Diskussion ab. Thema: »Ein Leben mit der Corona-Pandemie.« Auf ein Abwiegeln nach der Methode »Wir haben es mit Corona doch alle so schwer« ließ sich Linksfraktionschefin Kathrin Dannenberg dabei nicht ein. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) hatte allen Ernstes gelobt, dass Eltern in der gegenwärtigen Situation ihre Kinder besser kennenlernen würden, und zudem verkündet, für Hartz IV würden andere Staaten Deutschland beneiden. Dazu sagte Dannenberg: »Das ist ein Schlag ins Gesicht dieser Eltern.« Sie erklärte, dass viele Selbstständige jetzt vor dem Nichts stehen und nicht einmal die zunächst versprochenen Hilfen erhalten oder sie zurückzahlen müssen, weil klammheimlich Förderbedingungen geändert worden sind. »Sie haben keine Antennen dafür, was hier passiert«, bescheinigte Dannenberg der rot-schwarz-grünen Koalition. Das Sozialsystem in Deutschland sei inzwischen »löchrig wie ein Schweizer Käse«.

Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hob hervor, dass die 66 000 Beschäftigten im brandenburgischen Einzelhandel in den kritischsten Tagen die Grundversorgung gesichert und sich großen Risiken ausgesetzt haben. Doch allein deswegen würden sie wohl nicht nachhaltig besser bezahlt. Das geschehe offenbar erst, wenn es nicht mehr genug Verkäufer gebe. Ähnlich sei es in der Pflege, wo immerhin aufgrund des Personalmangels erste Verbesserungen gegriffen hätten.

Die Ministerin wies zudem darauf hin, dass in China einzelne Orte die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus wieder verschärft haben. Das könne auch Brandenburg drohen. 2012 habe die Bundesregierung jedem Haushalt empfohlen, sich für zehn Tage ausreichend mit Lebensmitteln zu versorgen. »Das ist, freundlich formuliert, nicht ernst genommen worden.« Möglicherweise sehe die Bevölkerung dies nun anders, so Nonnemacher.

SPD-Fraktionschef Erik Stohn bereitete derweil darauf vor, dass aufgrund der neuen Lage politische Projekte, die eigentlich geplant waren, zurückgestellt werden müssten. Und CDU-Fraktionschef Jan Redmann kritisierte, dass sich Lehrer weigern, den Unterricht in den Schulen aufzunehmen, mit der Begründung, sie hätten Angst, sich bei Kindern anzustecken. Nach Ansicht von Redmann dürften zusätzliche Unterrichtsstunden am Sonnabend und in den Ferien »keine Tabus mehr sein«. Es sei praktisch nicht nachgewiesen, dass Kinder Menschen ohne Vorerkrankungen mit Corona angesteckt haben. »Von den Beamten im Schuldienst erwarten Schüler und Eltern mehr.«

AfD-Frakionschef Andreas Kalbitz nannte in seiner Rede antifaschistische Demonstranten am 1. Mai »Kinder-SA« und wurde von Landtagspräsidentin Liedtke deswegen zur Ordnung gerufen. Für Kalbitz ist die Corona-Pandemie »eine noch nicht einmal außergewöhnliche Grippewelle«. Eine Gefahr sei nicht die Krankheit, sondern die überzogenen Maßnahmen gegen sie. »Viele Brandenburger fühlen sich verunsichert, im Stich gelassen, manchmal geradezu veralbert.« Linksfraktionschef Sebastian Walter rief ihm daraufhin zu: »Fragen Sie die Krankenschwestern, fragen Sie die Menschen, die Angehörige verloren haben!«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal