Trumpisten werfen Schmutz auf Biden

Unruhe bei US-Demokraten über Vorwürfe zu sexuellen Übergriffen ihres Frontmanns für die Präsidentschaftswahl hat sich vorerst gelegt

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Post vom Wochenende zeigt Joe Biden winkend mit der in den USA beliebten Grußformel »See you later Alligator«. Darunter ein Bild eines Alligators, der Biden zu antworten scheint mit »In a while pedophile!«. Der Post von Donald Trump Junior unterstellt dem Gegenspieler seines Vaters pädophile Züge. Begründung: keine.

Der Demokrat Biden ist auch anderen Anschuldigungen ausgesetzt. Um jene von Tara Reade, Joe Biden habe sie vor 27 Jahren vergewaltigt, ist es in den vergangenen Tagen wieder ruhig geworden. So ruhig jedenfalls, dass sich Joe Biden, der 77-jährige Ex-Senator, Vizepräsident und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Präsidentschaftskandidat sogar aus der Deckung heraus in die Offensive wagen kann. Am 14. Mai sagte Biden in einem Interview mit dem Fernsehsender MSNBC auf die Frage, was er skeptischen Wählerinnen antworten würde: »Ich denke, sie sollten sich einfach auf ihre eigenen Gefühle verlassen. Und wenn sie Tara Reade glauben, dann sollten sie wahrscheinlich nicht mich wählen. Ich selber würde mich nicht wählen, wenn ich Tara Reade glauben würde.« Übersetzt: Glaubt mir, und wenn ihr Reade glaubt, dann seid ihr Trumpisten.

Die in Kalifornien lebende Tara Reade hatte am 25. März 2020 in einem Podcast-Interview mit einer linken Journalistin gesagt, Biden habe sie 1993, als sie in seinem Washingtoner Senats-Büro arbeitete, in einem Gang im Senatsgebäude gegen eine Wand gedrückt, unter ihren Rock gegriffen und sei dann mit seinen Fingern in sie eingedrungen - was den Tatbestand der Vergewaltigung erfüllt. Als sie Biden letztendlich abgewehrt hatte, habe er sie verbal erniedrigt. Vor knapp einem Jahr hatte Reade in einem Interview mit einer kleinen kalifornischen Zeitung gesagt, Biden habe ihr an die Schulter und in den Nacken gefasst, mehr aber nicht. Sexuell ausgebeutet habe sie sich nicht gefühlt, sagte sie damals.

Am 12. April griff die »New York Times« als erste US-weite Publikation die Reade-Anschuldigung auf. Auf zwei Dutzend Interviews mit Beteiligten hin konnte das Blatt jedoch nichts von Reades Behauptung, Biden habe sie vergewaltigt, erhärten. Man habe »kein Muster sexueller Übergriffe« bei Biden feststellen könne, hieß es. Ähnlich lauteten die Feststellungen in der »Washington Post«, die ein eigenes Rechercheteam ausgesandt hatte. Am 24. April tauchte ein Auszug aus einem Fernsehinterview von 1993 auf. Darin gibt Reades Mutter, inzwischen verstorben, Probleme ihre Tochter mit einem »prominenten Senator« an. Ende April ließ die Publikation »Business Insider« eine Nachbarin und eine ehemalige Mitarbeiterin von Reade zu Wort kommen, die sich erinnern können, von Reade über sexuelle Übergriffe von Biden in den 1990er Jahren gehört zu haben. Aber die Zeit liegt weit zurück.

Am 1. Mai bestritt Biden, als der Druck auf ihn größer wurde, in einem TV-Interview erstmals Reades Beschuldigung. »Nein, es ist nicht wahr. Ich sage es klipp und klar, so etwas ist nicht passiert.« Hinweise von Reade, sie habe sich damals an die Beschwerdestelle des Senats gewandt, konnten nicht bestätigt werden.

Letztendlich steht Reades Aussage, für die keine Belege vorliegen, gegen die des mächtigen und seit 40 Jahren bekannten Politikers. Darüber hinaus zeigt Reade Widersprüche, wie sie von erwiesenen Opfern sexueller Gewalt bekannt sind - etwa, dass sie sich schämen oder aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird, über die erfahrene Gewalt nichts sagen.

Rückendeckung erhält Biden allein schon dadurch, dass die Demokratische Partei sich im Wahlkampf um ihn scharen und jegliche Anwürfe gegen ihn, etwa den der Vergewaltigung, ignorieren oder von sich weisen muss. Denn die Alternative zum Kandidaten Biden lautet im wie in Stein gehauenen US-Zweiparteiensystem Trump. Sobald ein Kandidat wie Biden feststeht, würde jede Schwächung seiner Position, etwa die Erhärtung eines Vergewaltigungsvorwurfs gegen ihn, die Stärkung seines Gegners, also Trump, bedeuten. In dieser absurden Gemengelage wären parteiinterne Untersuchungen gegen Biden außerdem Wahlkampffutter für die Republikaner.

Aus der MeToo-Bewegung kamen deshalb auch nur zögerliche Solidaritätsbekundungen für Tara Reade. Genüsslich wiesen außerdem rechte Medien wie etwa »Fox News« auf die Widersprüche bei den Demokraten hin. Denn als es vor nicht einmal einem Jahr um die Bestätigung des rechten Richters Brett Kavanaugh für das Oberste Gericht ging, erklärte sich das gesamte Anti-Trump-Spektrum solidarisch mit seiner Anklägerin Christine Blasey Ford, die ihm sexuelle Übergriffe vorwarf und keine Zeuginnen hatte. Damals lautete das von den Demokraten und von vielen Medien hochgehaltene Motto »Believe Women«. Im Fall Biden scheint es nicht zu gelten. So ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass Donald »pussy grabber« Trump und die Republikaner im Wahlkampf Tara Reade gegen Biden ins Feld führen werden.

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