Muskeltyp in Leopardenbadehose

Binsenweisheit des Pop-Alphabets: Das Berliner Kupferstichkabinett zeigt die Highlights seiner Pop-Art-Sammlung

  • Ingo Arend
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein überdimensionierter Pinselstrich, schwungvoll in sattem Gelb und Schwarz über einen grau gerasterten Grund geführt. Am Ende läuft er in ein paar Kleckse aus. Auf eine prägnantere Formel als Roy Lichtenstein mit seinem Werk »Brushstroke« von 1965 kann man die Idee von Pop vermutlich nicht bringen: Die ironische Verwandlung des Inbegriffs des genieverdächtigen künstlerischen Ausdrucks zur Reklame-Schablone.

Dass die Kunst in das Leben zu entgrenzen sei, dass sie ihre Motive aus dem Alltag zu beziehen habe, dass ihr das Profane und die Oberfläche heilig seien, all das gilt als Binsenweisheit des Pop-Alphabets. Dass es aber nicht ganz so einfach ist, lehrt die Ausstellung »Pop on Paper«, die das Berliner Kupferstichkabinett momentan zeigt.

Die von Alexander Schalhorn klug kuratierte Schau blättert die Geschichte des Pop im eher kleinen Format auf. Die aus der Sammlung des Kabinetts bestückte Ausstellung ist ein Beispiel dafür, dass es nicht der ganz großen Werke bedarf, um ein inzwischen ja auch schon in die Jahre gekommenes Phänomen noch einmal neu zu durchleuchten.

Die Berliner Museen gelten, was den Zug der Zeit betrifft, eher als Late-Adopter. Die Ausnahme ist der Pop. Zu den ersten Erwerbungen gehörten nämlich schon 1965 und 1968 Werke der »Pre-Popper« Eduardo Paolozzi und Ronald B. Kitaj - schottischer Grafiker der eine, nach Großbritannien übersiedelter US-Maler der andere. Ihre Collagen mit Versatzstücken aus Katalogen und Magazinen bereiteten Heroen des Pop wie Richard Hamilton den Weg.

Deswegen beginnt der Parcours auch mit einem ganz frühen Paolozzi. »Evadne in Green Dimension« heißt sein Werk aus dem Jahr 1952, auf dem ein Muskeltyp in Leopardenbadehose eine schwarze Limousine stemmt. Von da spannt er den Bogen einer Entwicklungsgeschichte des Pop bis hin zu seiner ironischen Dekonstruktion. Denn die etwas feiste Dame, die auf Antje Dorns bunter Zeichnung »Elly« von 2000 ungelenk wie eine Flunder platt auf einem Autodach liegt, macht sich natürlich über die Sex- und Konsum-Stereotypen aus der Frühzeit des Pop lustig.

Gerade mit den Arbeiten auf Papier lässt sich belegen, wie wenig es der Pop-Art nur darum ging, die real existierende Warenwelt zu verdoppeln. Mögen sie auf den ersten Blick auch wie deren Apotheose wirken. An ihnen lassen sich hervorragend die raffinierten Konstruktionsprinzipien studieren.

Schon Andy Warhols erste, aus seiner Arbeit als Werbegrafiker entwachsenen Drucke - etwa aus der »Golden Shoes«-Serie - wurden bekanntlich seitenverkehrt auf Blattgold gedruckt. Vor lauter verführerischem Schein vergessen seine Aficionados die Perspektivverschiebung, die das mit sich brachte.

Das gilt auch für die Blickfänger dieser Schau, Warhols Porträts von Jackie Kennedy und Marilyn Monroe, ebenfalls seitenverkehrt gedruckt. Natürlich steckt in der Reihung der dafür benutzten Fotos der Tribut an das serielle Prinzip des technischen Drucks, die Absage an den Fetisch Original. Das verzeihen dem Hochmeister des Pop die Apologeten der Alten Meister bis heute nicht.

Genauso wenig wie sie ihm den Verrat der High Art an die Low-Ästhetik der billigen Massenware verziehen. Die Campbell Soup Company ließ die Etiketten ihrer legendären Dosensuppe, denen Warhol einen Ehrenplatz im Pantheon der Kunstgeschichte gesichert hatte, auf Papierkleider drucken. Eines dieser begehrten, damals hunderttausendfach verkauften »Souper Dresses« hängt auf einem Kleiderbügel.

Doch so wie Warhol sein fotografisches Material beschnitt, überblendete und in grellen Farben arrangierte, ging es ihm immer um eine Reflexion über den ikonischen Status von Bildern und ihre mediale Konstruktion. Genauso wie sein silbern grundiertes Selbstporträt mit aufgerichtetem Finger vor dem Gesicht von 1966 zwar als Proto-Selfie durchgehen könnte. Es stellt aber auch die grundsätzliche Frage nach dem Charakter dieses Genres.

Die Beispiele zeigen die produktive Irritation der Pop-Art: Ihr Schwanken zwischen Affirmation und Kritik. Das reicht von Ed Ruschas cineastisch inspirierter Hommage an die durchmotorisierte Gesellschaft in »Mocha Standard« von 1969. Das Werk zeigt eine perspektivisch überhöhte Tankstelle der gleichnamigen Ölfirma.

Wie man die nur scheinbar schöne neue Wohlstandswelt mit ihren eigenen Waffen schlagen kann, zeigt James Rosenquist. Der 2017 gestorbene Maler kam wie Warhol von der Werbung. Eines seiner berühmtesten Werke ist das 1965 vom New Yorker Star-Galeristen Leo Castelli zum ersten Mal ausgestellte, drei Meter hohe und 26 Meter breite Bild »F-111«.

In der Ausstellung hängt eine 1974 als Lithographie gedruckte Adaption des Originals. Auf dem größten Exponat der Schau sind Fetische der Konsumkultur wie Autoreifen, Trockenhauben oder Glühbirnen in einem riesigen Panorama verschnitten mit Fotos von Teilen des US-Bombers F-111, der im Vietnamkrieg eingesetzt wurde, oder dem Bild einer Atomexplosion.

Als die Pop-Art in den 60ern zum ersten Mal in Berlin gezeigt wurde, schallte ihr der Vorwurf entgegen, einem antihumanistischen Menschenbild den Weg zu bereiten. Die Berliner Schau zeigt freilich, dass es sich mit diesem ästhetischen Fast-Food so verhält wie mit ihrem nahen Verwandten, dem Beton. Es kommt immer darauf an, was man draus macht.

»Pop on Paper. Von Warhol bis Lichtenstein. Kupferstichkabinett«, bis 16.8., Kulturforum, Matthäikirchplatz Berlin

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