Die gescheiterte vierte Transformation

In Mexiko fordern die Unternehmerverbände staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Der linke Präsident will davon nichts mehr wissen

  • Andreas Knobloch
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eines der Paradoxa der Coronakrise: Es handelt sich zwar um eine globale Pandemie, die Reaktionen darauf fallen lokal aber oft sehr unterschiedlich aus. Nicht selten ergriffen Regierungen einseitige Maßnahmen, ohne ihre Nachbarn zu konsultieren, beispielsweise bei Grenzschließungen. Das wiederum führt dazu, dass der persönliche Stil der jeweiligen Staatschefs in hohem Maße das Schicksal der Bürger bestimmt - nicht nur in den USA oder Brasilien.

Auch in Mexiko ignorierte Präsident Andrés Manuel López Obrador lange den Ernst der Lage. Der 66-Jährige, der selbst durchaus zur Risikogruppe gehört, da er unter Bluthochdruck leidet, reiste anfangs weiterhin im Land umher, herzte Kinder und umarmte ältere Menschen. »Wenn wir eine übereilte Entscheidung treffen, schadet das nur der Wirtschaft, und wir versetzen die Bevölkerung in Panik«, sagte er Ende März.

Erst die Zunahme der Infektionen und wohl auch das Insistieren seiner Berater bewegten López Obrador zum Umdenken. Seine Hartnäckigkeit, fast schon Starrköpfigkeit, sein beinahe übertriebenes Vertrauen in die eigene Intuition, treten angesichts der Coronakrise deutlich hervor. Sein Verhalten lässt sich zum Teil so erklären: Erst nach zwölf Jahren, im dritten Anlauf, gewann er die Präsidentschaft. Er erbte ein von Drogenkrieg und Korruption zerrüttetes Land. López Obradors ehrgeiziger Plan einer Umgestaltung von Grund auf - in Mexiko nur als vierte Transformation oder kurz 4T bekannt - droht angesichts von Covid-19 und der zu erwartenden weltweiten Rezession bereits früh zu scheitern.

Mexikos Wirtschaft leidet besonders schwer unter der Coronakrise. Das hat mehrere Gründe. Da ist die enge wirtschaftliche Verzahnung mit den USA, dem weltweit am heftigsten von der Pandemie betroffenen Land. Nicht nur gehen drei Viertel der mexikanischen Ausfuhren in das Nachbarland, auch leben elf Millionen Mexikaner jenseits des Rio Grande. Deren Geldüberweisungen sind vor allem für die ländlichen Regionen überlebensnotwendig. Zum wahrscheinlichen Rückgang der Exporte und Geldüberweisungen kommen der Verfall des Ölpreises, die Pesoschwäche und der Einbruch des Tourismus. Stagnierte Mexikos Wirtschaft 2019, erwarten Ökonomen für das laufende Jahr einen Einbruch von mindestens sechs Prozent.

López Obrador steht vor der Aufgabe, die schlimmsten Folgen zu verhindern. Ein Großteil der Bevölkerung kämpft Tag für Tag ums Überleben. Im Gegensatz zu den meisten Industriestaaten verweigert López Obrador milliardenschwere staatliche Rettungspakete, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise für Unternehmen zu mildern. Statt neuer Schulden setzt er auf Kürzungen. Regierungsbehörden werden gestutzt, Gehälter reduziert, Boni gestrichen. López Obrador befürchtet, die Aufnahme weiterer Schulden würde Mexiko ausländischen Schuldnern oder dem Internationalen Währungsfonds ausliefern.

Zudem ist mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer im informellen Sektor beschäftigt - Staatshilfen würden sie kaum erreichen. Darüber hinaus verweist der Präsident darauf, dass die Unternehmer im Laufe der Geschichte Rettungspakete zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt haben. »Der Konjunkturplan (meiner Regierung, d. Red.) passt nicht zum neoliberalen Modell«, so López Obrador. »Wir haben jetzt die Vorgabe gebrochen, antizyklische Maßnahmen anzuwenden. Die vertiefen nur die Ungleichheit und fördern Korruption, von der nur wenige profitieren.«

Allerdings ist das Modell, Geld in eine schrumpfende Wirtschaft zu pumpen, kein neoliberales, sondern folgt der Lehre von John Maynard Keynes. Dieser geht davon aus, dass sich der Markt nicht von alleine reguliert, sondern steuernde staatliche Eingriffe nötig sind. Wirtschaftswissenschaftler plädieren fast einhellig für große kreditfinanzierte, öffentliche Investitionen. Weitere Kürzungen des öffentlichen Haushalts dürften die drohende Rezession in Mexiko noch verschärfen, so ihre Befürchtung.

Und so ist die Krux dieser Krise, dass die sonstigen Apologeten des freien Marktes - der einflussreiche mexikanische Unternehmerverband Consejo Coordinador Empresarial - nun López Obrador für seine Zurückhaltung kritisieren und nach Staatshilfen rufen. »Ich verstehe, dass diejenigen, die lange Zeit die Politik der Privatisierung von Gewinnen und der Sozialisierung von Verlusten angewendet haben, unsere Vision von Entwicklung nicht teilen«, erklärt der Präsident und hält am Sparkurs fest.

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