Moskau gegen Ankara in Libyen

Der Bürgerkrieg im erdölreichen Land entwickelt sich immer weiter zum Stellvertreterkrieg

  • Mirco Keilberth, Tunis
  • Lesedauer: 3 Min.

Am vergangenen Wochenende hatte die Libysche Nationalarmee (LNA) des Feldmarschalls Khalifa Haftar überraschend die Angriffe auf die Milizen der Einheitsregierung von Fayez as-Sarradsch eingestellt und sich mehrere Kilometer von der Front in Tripolis zurückgezogen. LNA Sprecher Ahmed Al-Mismari begründete das scheinbare Ende des Krieges um die libysche Hauptstadt mit dem Eidfest, an dem viele Familien das Ende des Ramadan feiern. Der tatsächliche Grund war nach Meinung vieler Beobachter die militärische Überlegenheit der türkischen Drohnen an der 80 Kilometer langen Front im Süden der Zwei-Millionen-Einwohner Metropole. Neben den Drohnen und schwerem türkischen Militärgerät sind es vor allem bis zu 5000 syrische Rebellen, mit denen die türkische Regierung Haftars Gegenspieler as-Sarradsch massiv hilft.

Der ehemalige Geschäftsmann aus Tripolis führt seit dem Friedensabkommen von Shkirat die international anerkannte Einheitsregierung an. As-Sarradsch hat zwar Zugriff auf das Staatsbudget, jedoch fehlen ihm eine eigene Armee und die Anerkennung des 2014 gewählten Parlaments, das im von Haftar kontrollierten Ostlibyen tagt. Mithilfe von sudanesischen, russischen Söldnern sowie einer Allianz von in seiner Militärakademie ausgebildeten Rekruten und Salafisten wollte Haftar die as-Sarradsch-treuen Milizen vor allem aus den Ministerien, der Zentralbank und der staatlichen Ölagentur NOC vertreiben. Doch Haftars 14 Monate andauernde Offensive kam nur langsam voran. Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der Regierung in Tripolis seine Hilfe zur Verfügung stellt, verlor Haftar die Lufthoheit, die zuvor aus den Vereinigten Arabischen Emiraten gelieferte chinesische Wing-Loong-Drohnen garantierten. Unklar ist bislang, wie viele Söldner der russische Sicherheitsfirma Wagner für die LNA im Einsatz sind. Frontkommandeure der as-Sarradsch treuen Einheiten berichteten »nd« im vergangenen Jahr, dass die Wagner-Söldner vor allem als Scharfschützen, Drohnenoperateure und bei der lasergesteuerten Artillerie und dem Luftabwehrsystem Pantsir im Einsatz waren. Der weltweit tätige Sicherheitsdienstleister gehört dem Geschäftsmann Yevgeny Prigozhin, dem gute Beziehungen zu Wladimir Putin nachgesagt werden.

Doch auch die für ihre Treffsicherheit gegen Drohnen bekannten Pantsir-Raketen wurden scheinbar zum leichten Ziel der eingeflogenen türkischen Spezialisten. Nur wenige Minuten nach der Ankunft von drei auf deutschen MAN-Lastwagen verbauten Pantsir-Systemen auf dem Al Watiya, dem größten Militärflughafen Nordafrikas, waren diese bereits außer Gefecht, berichten Truppen dem »nd« am Telefon.

Als die Wagner-Söldner vergangene Woche dann vom Nachschub abgeschnitten wurden, begannen sie am Wochenende den Rückzug. Mehrere Konvois mit weit mehr als 400 Fahrzeugen sind derzeit auf dem Weg in das zentrallibysche Jufra und nach Ajdabija, nahe der ostlibyschen Ölfelder. Das Oberkommando der Einheitsregierung hatte zuvor verkündet, die LNA-Verbündeten nicht anzugreifen. Auf dem Flughafen des Verkehrsknotenpunktes Jufra landeten nach Angaben des Afrika-Kommandos der US-Armee zeitgleich 14 russische Kampfflugzeuge. In einer Presseerklärung veröffentlichte AFRICOM-Kommandant Stephen Townsend am Dienstag Satellitenaufnahmen der Maschinen. Die Flugzeuge seien umlackiert worden, um die russische Herkunft zu verschleiern.

Mit dem Rückzug der Söldner in das ölreiche Ost- und Zentrallibyen entstehen jeweils eine deutliche türkische und russische Einflusssphäre, so der Analyst Mohamed Eljahr. Da EU und UN die Menschen in Bengasi in ihrem Kampf gegen die radikalen Gruppen zwischen 2014 und 2018 alleine gelassen haben, sei Haftar erst erstarkt.

Trotz mehrerer Versuche haben anscheinend weder Haftar noch regierungsnahe Milizen Interesse an einem Waffenstillstand. Man werde bis nach Bengazi vorrücken, verkünden viele Kämpfer auf sozialen Medien. Sollte es dazu kommen, stünden sich auch türkische und russische Militärs gegenüber.

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