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Hoffen auf den Urknall

Saarbrücken will als erster Viertligist ins Pokalfinale. Nur fehlen Fans und Spielpraxis

  • Andreas Morbach, Saarbrücken
  • Lesedauer: 5 Min.

Die kraftvolle Stimme von Lukas Kwasniok ist deutlich zu hören, quer über den ganzen Platz: »Wir müssen die Box verteidigen, dafür ist jeder verantwortlich«, »No chance« und »Let’s go!«, brüllt der Cheftrainer des Viertligisten 1. FC Saarbrücken seinen Spielern in der brütenden Mittagshitze zu. Der im polnischen Gliwice geborene Coach ist auf dem Trainingsgelände der diesjährigen Pokalsensation gerade mit der Vorbereitung auf das Halbfinale beschäftigt. An diesem Dienstag gastiert Bayer Leverkusen beim Viertligisten aus dem Saarland. Und Kwasniok will nichts wissen von all den Statistiken, die den Bundesligisten als haushohen Favoriten auf das erste Finalticket ausweisen. Der 38-Jährige bastelt lieber mit Inbrunst daran, aus dem Fußballfloh von der deutsch-französischen Grenze wieder einen Elefanten zu machen.

Mit Regensburg, Köln, Karlsruhe und Düsseldorf haben die Saarbrücker schon zwei Zweit- und zwei Erstligaklubs aus dem Pokal gekickt. »Wir haben vielleicht eine einprozentige Chance, gegen Leverkusen in 90 Minuten weiterzukommen«, sagt Angreifer José Pierre Vunguidica, als er nach dem Training im Gespräch mit »nd« auf der Tribüne im Schatten sitzt. »Viel mehr Prozente als das eine haben wir nicht«, pflichtet Kapitän Manuel Zeitz dem Teamkollegen bei. »Aber gegen Düsseldorf und Köln hätte ich vorher auch nicht gesagt, dass wir eine 50-Prozent-Chance haben.«

Zu den Erfolgen über Leverkusens rheinische Nachbarn wurden die Saarbrücker allerdings noch von ihren Fans getragen - im zwölf Kilometer entfernten Völklingen, wo die Mannschaft wegen des langwierigen Umbaus des eigenen Stadions seit 2016 ihre Heimspiele austrägt. »Aus den vergleichsweise wenigen Zuschauern dort bildete sich in jeder Pokalrunde ein kleiner Hexenkessel. Das bekam dann so eine Eigendynamik, dass wir es letztendlich immer geschafft haben weiterzukommen. Tja, und das fehlt jetzt komplett«, seufzt der 29-jährige Zeitz - der zwar in Völklingen geboren ist, zugleich aber beim Training in Saarbrücken deutlich macht: »Wir sind hier im Ludwigspark beheimatet. Für mich wird Völklingen nie ein richtiges Heimstadion werden.«

Spätestens im Oktober soll die angestammte Arena im Norden Saarbrückens endlich bezugsfertig sein. Vor zehn Jahren, beim Durchmarsch des FCS von der Oberliga in die 3. Liga, stieg Zeitz dort zweimal hintereinander auf. Wegen des coronabedingten Saisonabbruchs der Regionalliga Südwest vor zwei Wochen wurde der Klub als klarer Tabellenführer am grünen Tisch zum Aufsteiger in die 3. Liga gekürt - und Zeitz’ persönlicher Hattrick komplettiert. Der Kapitän machte zusammen mit Trainer, Sportdirektor und drei Mannschaftskollegen einen spontanen Abstecher in die Saarbrücker Innenstadt.

»Es war nicht so, wie man normalerweise einen Aufstieg feiert. 2009 und 2010 ging es deutlich freier zu - und freizügiger. Jetzt lief alles in einem gesitteten Rahmen ab, auch mit dem nötigen Abstand. Ohne dass wir uns groß umarmt oder geküsst hätten. Meiner Ansicht nach war nichts Verwerfliches dran, da wurde nichts übertrieben«, beschreibt Manuel Zeitz die kleine Party. Den Groll von Klubpräsident Hartmut Ostermann, der bereits unmittelbar nach Bekanntgabe des Aufstiegs auf geltende Abstandregeln und das Pokal-Highlight gegen Leverkusen verwiesen hatte, zogen sich die Feiernden trotzdem zu.

»Natürlich war es im Nachhinein nicht ganz richtig - weil wir eben unter dieser Beobachtung stehen. Aber es ist nur menschlich, dass man sich ein bisschen über so einen Aufstieg freut«, findet Daniel Batz. Der Torhüter hat neben dem fehlenden Publikum für die Partie an diesem Dienstag noch einen weiteren Nachteil für den krassen Außenseiter erkannt: den Umstand, gegen Leverkusen nach zwölf Wochen Vorbereitung ohne ein einziges Testspiel ins kalte Wasser springen zu müssen.

Mit fünf parierten Strafstößen - einem in der regulären Spielzeit, vier im Elfmeterschießen - avancierte der muntere Mittelfranke vor drei Monaten zum Helden beim Viertelfinalsieg über Düsseldorf. Jetzt sagt er: »Es ist einfach unfassbar schwierig, über einen so langen Zeitraum die Spannung auf dieses eine Spiel hochzuhalten.« Denn: »Wer schon öfter mal Fußball gespielt hat, weiß, dass Testspiele natürlich wichtig sind, der Wettkampf aber noch mal etwas ganz anderes ist. Das sind zwei Paar Schuhe- Diese richtigen Spiele fehlen uns total.«

Gegen die offensivgewaltige Werkself, die beim 2:4 gegen Bayern München am Samstag bereits ihr fünftes Pflichtspiel nach der Coronapause absolvierte, gehe es deshalb nun darum, sich in den ersten 15, 20 Minuten wieder ans Fußballspielen unter Wettbewerbsbedingungen zu gewöhnen, richtig dagegenzuhalten. »Wenn wir das hinbekommen haben, sind wir auch wieder drin«, glaubt Batz, der für Freiburg im Mai 2012 beim 0:4 in Dortmund zu seinem einzigen Bundesligaeinsatz kam. »Aber«, so der 29-Jährige, »das dauert eben, das ist die Schwierigkeit. Wenn man das noch nicht mal in einem Testspiel simulieren kann!«

Dreimal landete der 1. FC Saarbrücken im DFB-Pokal schon im Halbfinale, zu einer Endspielteilnahme reichte es bislang noch nie. »Lieber widerlich als wieder nich’ - im 4. Anlauf ins Finale!!!«, steht in den Vereinsfarben Gelb, Blau und Schwarz nun als Motto auf einer großen Tafel am Rand des Trainingsplatzes. »Wir wissen schon, dass wir gegen Leverkusen nicht 60 Prozent Ballbesitz haben werden. Wir haben keine Spielpraxis, deshalb ist unsere Devise ganz klar erst mal, mit aller Macht unser Tor zu verteidigen. Und wenn es ins Elfmeterschießen gehen würde, würde das jeder von uns erst mal unterschreiben«, betont Mittelfeldakteur Zeitz.

Als Düsseldorf beim Nervenspiel vom Punkt Anfang März in die Knie gezwungen war, bejubelte Saarbrückens Vereinsikone und Vizepräsident Dieter Ferner mit Tränen in den Augen »die größte Sensation seit Christi Geburt«. Ein Coup über Bayers Starensemble würde diesen historischen Triumph, als erster Viertligist ins Pokalhalbfinale eingezogen zu sein, nochmals toppen. »Das wäre dann«, vermutet Schlussmann Batz, »der Urknall«.

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